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von Ingrid Kolnberger, Mutter von Marion;
Als ich 1993 drei Stunden nach der Entbindung die Diagnose erhielt, meine Tochter habe Down-Syndrom, sagte ich zu meiner Tochter, als sie mir in die Arme gelegt wurde: “Wir werden das schon schaffen, ich habe dich doch lieb!”
Damals wusste ich wirklich nicht, was das bedeutet, welche Herausforderung das für mich sein wird. Heute weiß ich, dass der Weg, den ich damals gestartet bin, sehr viel für mich verändert hatte. Ich lernte vieles mit einem anderen Auge zu sehen, erkannte Werte, die mir vorher verschlossen waren und ich wurde durch meine Tochter reich beschenkt.
Trotz Herz-OP, Hörapparat und Brille hat sich Marion zu einer Persönlichkeit entwickelt mit vielen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die uns immer wieder verblüffen. Ihre Schwester Katharina, die 2 Jahre jünger ist, hat sie mitgezogen, ihr viel spielerisch vermittelt und beide verbindet eine ganz normale Geschwisterliebe. Sie beschützen einander, helfen einander, streiten miteinander und jeder geht seinen eigenen Weg und lässt dem anderen jene Freiheiten, die er braucht.
Marion liest gerne, rechnet ganz tüchtig und sicher mit Hilfe der Kybernetik, hat ein gutes Allgemeinwissen und kennt sich bei vielen Sachen aus.
Sie schwimmt, taucht, fährt mit Begeisterung Rad, fährt Schi, reitet, spielt Flöte, tanzt Hip-Hop, geht alleine einkaufen, bewältigt alleine den Schulweg (mit Zug, Straßenbahn und Bus) und genießt den Kontakt mit ihrer Brieffreundin Nicola.
Mittlerweile ist sie schon eine richtiges Fräulein, legt wert auf ihr Äußeres und hat besonders den Wunsch, als Mensch geachtet, respektiert und geschätzt zu werden und mag es gar nicht, mit dem Wort “Down-Sydrom” in Verbindung gebracht zu werden. Sie nimmt sich die Selbststädigkeit, die sie braucht.
Sicherlich ist einiges anders, aber ich selber erlebe dieses “Anderssein” nicht als Belastung, im Gegenteil, es ist für mich eine enorme Bereicherung öfters aus dem Alltagstrott der Leistungsgesellschaft herausgeholt zu werden, wenn Marion uns lehrt, den Tag zu genießen und die Schönheiten der Natur zu erleben. Hektik ist ihr fremd, sie lässt sich nicht hineintreiben in den Trubel um sich herum. Das fasziniert mich an ihr und manchmal beneide ich sie um die Ruhe, die sie hat, auch wenn alle um sie herum bereits stressig sind. Sie vermittelt Gelassenheit und Freude, zeigt menschliche Werte, die wir oft nicht mehr sehen.