Direkt zum Inhalt

von Pinetz Petra, Integration: Österreich Wien, entnommen aus [1].
Das Zusammenleben mit einem Kind mit Behinderung bringt für so manche Familien eine Reihe von Bewältigungsaufgaben mit sich. Darüber hinaus erhalten Mütter und Väter von behinderten Töchtern und Söhnen von öffentlichen und staatlichen Stellen häufig unzureichende Informationen. Größtenteils führen die Hilfestellungen der Fachkräfte zu Abhängigkeit und Bevormundung und nicht zu der so notwendigen Eigenmächtigkeit und Stärkung der Selbstbestimmung.
Aus diesen jahrelangen Erfahrungen der Elternbewegung wurde die Forderung nach Unterstützungsmaßnahmen für Eltern behinderter Kinder laut. Die bundesweite Elternbewegung Integration:Österreich hat hierfür ein Elternbildungsangebot unter dem Namen “Eltern bilden Eltern”(EbE) gesetzt, an dem ausschließlich betroffene Mütter und Väter behinderter Töchter und Söhne teilnehmen. “Die eigene Betroffenheit als grundlegende Voraussetzung begründet sich aus dem hohen Anteil an Elementen der Selbsterfahrung und dem Lernen an “positiven Modellen”. Sie ist auch Schlüssel zur gegenseitigen Akzeptanz und Unterstützung” (Aubrecht, Oberndorfer, Schönwiese 1999, 49).
Idee und Aufgabe der Elternbildung
Elternbildung bedeutet “Informationen zu sammeln, Erfahrungen auszutauschen, eigene Stärken zu entdecken und schließlich auch praktische Anregungen für den Erziehungsalltag mitzunehmen”.
(http://www.eltern-bildung.at/eb/dieIdee/wasIstElBi.php).
Ebenso will Elternbildung dazu beitragen, dass Eltern sowohl ihre Kinder als auch sich besser verstehen.
Die Aufgabe der Elternbildung besteht darin, bei Eltern einen Lernprozess auszulösen, der die Situation der Eltern in Bezug auf ihre Kenntnisse, Fertigkeiten, Handlungen und Wertungen verändert. Dieser Lernprozess bezieht sich jedoch nicht nur auf die eigene familiäre Situation, da auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Gegenstand von Denken und Handeln werden.
“Wir sind nicht allein” – Empowerment und Selbshilfe
Die Bildungsreihe EbE geht von folgenden wesentlichen Grundprinzipien aus:
EMPOWERMENT:
Das zentrale Arbeitsprinzip von EbE ist die Förderung verschiedener Formen der von Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe. Empowerment heißt, dass Menschen lernen, ihre eigenen Kräfte und Kompetenzen zu entdecken und zu nutzen. Dies führt ausschließlich zu einem höheren Selbstbewusstsein (vgl. Aubrecht, Oberndorfer, Schönwiese 1999, 45).
PEER SUPPORT
Unter dem Begriff “peer support”, wird die “Unterstützung, Beratung und Begleitung durch Ebenbürtige oder Gleiche” (ebd.) verstanden. “Peer support” umfasst sowohl die professionelle Beratung als auch die äußerst wichtige Selbsthilfeförderung und Selbsthilfetätigkeit von Eltern für Eltern. “Das Projekt Eltern beraten Eltern bietet den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Peer Support als ein wichtiges Mittel an, um sich gegenseitig dabei zu unterstützen, Stärke und Selbstvertrauen aufzubauen, die Ziele die sie erreichen wollen, heraus zu kristallisieren und Strategien zu entwickeln um diese Ziele zu erreichen” (ebd.).
Die Nachhaltigkeit der Bildungsreihe zeigt sich darin, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer gruppieren, eigene Selbsthilfegruppen gründen oder sie übernehmen Unterstützungsfunktionen für Gleichbetroffene in ihrem Bezirk oder Bundesland. “Erste Anzeichen gibt es auch dafür, dass die EbE-Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst Anerkennung als ExpertInnen finden und z.B. andere betroffene Eltern bei Behördengängen oder Verfahren unterstützen und begleiten sowie bei Tagungen referieren” (ebd.). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von EbE leisten auch politische und öffentlichkeitswirksame Arbeit, da sie vermehrt als ReferentInnen bei Fortbildungsveranstaltungen auftreten, an Arbeitskreisen für sozialpädagogische Konzepte unter der Leitung verschiedener Ministerien teilnehmen und regionale Informationsveranstaltungen durchführen (vgl. ebd.)
Was ist das qualitativ wertvolle an der Bildungsreihe Eltern bilden Eltern?
In der Bildungsreihe EbE wird den Kontakten mit Gleichbetroffenen eine sehr hohe Bedeutung beigemessen, da sie emotional unterstützend wirken. “Der Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer scheint eine deutlich entlastende und stabilisierende Wirkung auf die psychische Verfassung zu haben. Durch das entstandene Gruppengefühl kann Solidarität und Stärke empfunden werden. Die teilnehmenden Eltern behinderter Kinder fühlen sich nicht mehr allein gelassen in ihren Lebenswelten” (ebd., 49).
Diese Gleichbetroffenen fungieren als MentorInnen, indem sie andere Eltern behinderter Kinder unterstützen. Sie stellen wichtige AnsprechpartnerInnen dar und zeigen Problemlösungsstrategien auf – hier wird Lernen am Modell praktiziert. Die Zielgenauigkeit von EbE wird dadurch erreicht, dass individuelle Lösungsmittelversuche vermittelt und erprobt werden.
Die Grundprinzipien Empowerment und peer support, sind nicht nur auf die Bildungsreihe beschränkt, sondern wirken auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene weiter, da viele EbE-TeilnehmerInnen ihre Beratungs- und Unterstützungsfunktion über dieses Projekt hinaus ausüben.
Ein wichtiges Ziel ist die Förderung der Kompetenzen und Stärken der Eltern behinderter Kinder. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um das kritische Lebensereignis “behindertes” Kind bewältigen zu können. EbE stellt somit eine Hilfe im Bewältigungsprozess dar.
Durch die Teilnahme an der Bildungsreihe EbE und die damit verbundenen Kontakte zu Gleichbetroffenen, Fachleuten und Institutionen vergrößert sich das soziale Netzwerk der Eltern behinderter Kinder. Diese Schaffung zusätzlicher Netzwerke wirkt daher einer sozialen Isolation entgegen.
Der Austausch von sozialer Unterstützung wird dadurch gewährleistet, dass sich Gleichbetroffene gegenseitig unterstützen und somit beide voneinander profitieren.
Der Erfolg des Projektes zeigt sich einerseits darin, dass von Seiten betroffener Mütter und Väter behinderter Töchter und Söhne weiterhin reges Interesse an EbE besteht. Die Bildungsreihe EbE berücksichtigt nicht nur die individuelle, sondern auch die gesellschaftspolitische Perspektive. Dadurch kann ein Projekt dieser Art einen langsamen Umdenkprozess in Richtung Anerkennung der elterlichen Kompetenzen und der Akzeptanz von Menschen mit Behinderung fördern.
Kontaktadresse: Interessierte können sich an Integration:Österreich wenden: Tannhäuserplatz 2/1.Stock, A-1150 Wien, Tel.01/7891747, E-mail: petra.pinetz@ioe.at, url: www.ioe.at
Petra Pinetz leitet seit Jänner 2003 die Bildungsreihe “Eltern bilden Eltern”, hat mehrjährige Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen aus sozial schwierigem Umfeld und mit Menschen mit Behinderungen, ist ausgebildete Kindergärtnerin und Horterzieherin und hat das Studium Pädagogik/Sonder- und Heilpädagogik absolviert und ist weiters als Lehrgangsleiterin für zwei Pilotlehrgänge im Rahmen eines EQUAL-Projekts bei I:Ö zuständig.
[1] Veröffentlichungsquelle: Feyerer, E. & Prammer, W. (Hrsg.): Qual-I-tät und Integration. Beiträge zum 8. PraktikerInnenforum. Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes in Oberösterreich, Band 16. Linz: Universitätsverlag Rudolf Trauner, 2004, ISBN 3-85487-570-3, 465 Seiten.