Direkt zum Inhalt

Martin Bruch über seinen Film.
Es handelt sich um ein Fahrrad.
handbikemovie ist eine autobiografische Lebensabschnittsbeschreibung und insofern die logische Weiterentwicklung meines Fotobuches Bruchlandungen.
Seit fünf Jahren bin ich als Handbike-Fahrer täglich und bei jeder Witterung unterwegs. Bisher habe ich bereits 16.666 km “er-fahren”, zwischen meist geschlossenen Fahrzeugen mit nicht erkennbaren Insassen hinter spiegelnden Scheiben; als langsamer Teilnehmer, besonders bei Steigungen, aber fast gleich schnell bei abschüssigen Strecken erlebe ich die Straße – eine Berg- und Talfahrt – schweigend, einsam, isoliert und amüsiert. Die Perspektive beim Handbike-Fahren, im Freien sitzend – Cabriofahrende haben ein ähnliches Gefühl, allerdings ohne körperliche Anstrengung – ist ungewöhnlich, für mich aber normal.
Die Langsamkeit (5 – 10 km/h), mit der ich mich weiterbewege, neben dem vorbeibrausenden Verkehr; die objektive Gefährlichkeit, die alle sehen, die an mir vorbeifahren; subjektiv sehe ich diese nicht, bzw. spielt sie sich hinter meinem Rücken ab.
Meine Freiheit (trotz massiver Abhängigkeit von den umgebenden Menschen, überhaupt auf die Straße zu kommen) einfach überall hinzufahren, “selbständig – selbstverständlich”.
Fahren durch die Stadt, mit dem Handbike – ein Abenteuer, nicht nur rollstuhlmäßig.
Abfahrten von Pässen, schnell spannend, schöne Aussichten.
Menschen treffen, Dialog
zuschauen – miterleben
Produktionsnotizen
Als langjähriger Besucher der Viennale sah ich viele Filme und hatte Kontakt zu einigen Regisseuren.
Die wichtigste Begegnung war die mit James Benning und seiner kalifornischen Trilogie, der mir sagte: “mach` doch”, nachdem ich ihm mein Filmvorhaben erzählte.
Ich sah “The Straight Story” von David Lynch, “Grand Tourismo” von Lorendana und Günter Selichar, die mich zur 1. Drehbuchfassung anregten. Eine wesentliche Ermutigung erfuhr ich durch Elisabeth Krejci und Michael Wolkenstein, die sagten auch: “mach´ doch!”.
Nach fünf Jahren und 15.000 km hatte ich handbikemäßig genügend “Er-fahrung” um im Anschluß an das Projekt “Bruchlandungen”(die Fotoserie unmittelbar nach dem Sturz) das “handbikemovie”, als eine weitere Lebensabschnittsbeschreibung zu realisieren.
Da mein Gesundheitszustand sich nicht verbessert, begann für mich ein Wettlauf mit der Zeit.
Die anfänglich kalkulierten 12 Drehtage sollten innerhalb eines halben Jahres gedreht werden. Tatsächlich zog sich die Drehzeit mit 36 Drehtagen über ein Jahr hin.
Der Prototyp entstand am 24. 12. 01 bis 01. 01. 02 in Paris. Gedreht hab´ ich mit einer von Felix von Muralt am Kopf, auf eine russische Soldatenmütze geklebten / befestigten Videokamera (Sony DV 900), über einen Spiegel.
Daraus entwickelte sich die weitere Drehweise mit einer von Christoph Breuer auf einen Skihelm montierten Toshiba 3-Chip Minikamera und 2 Schoeps Mikrofonen von Bernhard Schmid befestigt.
Die einzelnen Drehabschnitte und Drehorte hingen davon ab, wann wer wo Zeit hatte. Gedreht wurde bei jeder Witterung. Wasser auf der Optik bedeutet eine völlige Durchnässung aller Beteiligten.
Mein Drehteam bestand aus zwei ( ich und mein ständig wechselnder und neu einzuschulender persönlicher Assistent für alle Belange) bis zu 5 Personen für notwendige Absperrungen.
Ich darf auf Radwegen und Autobahnen, sowie auf der Schrägrampe im Allgemeinen Krankenhaus Wien nicht fahren. Trotzdem muß ich von A nach B und ins AKH gelangen.
Der daraus resultierende Gefahrenmoment auf belebten Großstadtstraßen sowie kurvenreichen Bergstraßen wird im Film vermittelt.
Für mich besonders anziehend ist das Befahren von Brücken.
Die George Washington Bridge nach Manhattan ist ein Highway. Filmaufnahmen von Brücken sind in N.Y. verboten. Um das begehrte Brückenfahrerlebnis zu dokumentieren, habe ich diese Bestimmungen ignoriert, was mit der Androhung einer Verhaftung auf der Brückenmitte endete. Der Cop:”No pictures on the brigde; You are crazy and I should put you into jail”.
Auf der Bosporos-Brücke war ich womöglich der erste Handbikefahrer der von Europa nach Asien gefahren ist. Die Genehmigung des Statthalters einzuholen war amüsant-abenteuerlich und kostete mich einen wertvollen Drehtag. Auf der Reichsbrücke und Floridsdorferbrücke fuhr ich ohne Genehmigung.
Kopfsteinpflaster und Schotter lösten Spasmen aus die mich bei der Dreharbeit behinderten und zu Bildverwackelungen führten.
Der Rallyewagen am Anfang und am Schluß ist eine Metapher für den allgemeinen Verkehrswahnsinn, den ich handbikekurbelnd erlebe.
Maya McKechneay ÜBER DEN FILM
“handbikemovie” – Ein Film von Martin Bruch
99 min, Farbe, 1:1,85, 35 mm, Dolby DIGITAL
In regelmäßigem Takt tauchen die Bremskabel von Martin Bruchs Handbike – dessen Lenker zugleich als Antriebspedal dient – am unteren Bildrand auf und senken sich wieder. Eine unendlich sich wiederholende Kurbelbewegung, die nicht nur das Fahrzeug, sondern den Film selbst voran zu tragen scheint.
Seit 1992, als bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, bewegt sich Martin Bruch mit Hilfsmitteln fort. Anfangs auf einem Tretroller, nun, wo dies nicht mehr möglich ist, vorwiegend mit dem Handbike. Zwischen 12/2001 und 12/2002 filmte er seine Fahrten durch Städte und über Land mit einer Helmkamera, deren Bilder und Töne zumindest eine Annäherung an seine eigene Wahrnehmung liefern. So befinden sich die Zuschauer seines Dokumentarfilms “handbikemovie” inmitten eines Staus auf dem New Yorker Times Square, zwischen Straßenbahn- und PKW-Spuren auf der Wiener Ringstraße oder neben einem Doppeldecker im dichten Verkehr von London. Rings herum vibrieren Motoren, rauschen Reifen auf dem Asphalt, klingt gelegentlich Musik aus den Boxen eines vorbeifahrenden Cabriolets.
Ein anderes Mal steht Bruchs Handbike an einem abschüssigen Rollband, kurbelt los, surrt runter und kriegt gerade so eben noch vor einer Wand die Kurve.
Keiner der Wege, die Martin Bruch in seinem “handbikemovie” nimmt, ist für ihn, d.h. für ein Fahrzeug wie das seine gemacht. Als Fahrer eines dreirädrigen Handbikes darf er offiziell weder auf Radwegen noch auf Autobahnen unterwegs sein. Indem er diese Wege trotzdem befährt, widersetzt er sich einer, uns mittlerweile selbstverständlich gewordenen Reglementierung des Raums – “Nur für Fußgänger!”, “Nur für Kraftfahrzeuge!” – und macht diese so in ihrer Willkürlichkeit sichtbar. Insofern ist jeder “Streckenabschnitt” des Films zugleich Zeugnis einer subversiven Aktion.
Ein einziges Mal steht Bruchs Rad auf einer Strecke, die ihm tatsächlich zugewiesen ist: ein Kamerablick zur Seite zeigt die Kollegen, kurz vor dem Start des Wiener Handbike-Rennens. Doch auch hier subvertiert Hauptdarsteller/Regisseur/Kamera- und Tonmann Bruch die Situation, indem er, statt wie die anderen durchzustarten, gemächlich dahinrollt, Bekannte am Streckenrand grüßt und so die Sinnhaftigkeit des Wettbewerbs humorvoll in Frage stellt.
Formal ist der Dokumentarfilm klar strukturiert: 56 Einstellungen, in harten Schnitten aneinandergereiht, verbunden nur durch die leitmotivische Helmkamera-Subjektive und die kurbelnde Vorwärtsbewegung. Eine konzeptuelle Studie über Bewegung, Anstrengung, Dauer, die so etwas wie eine Narration im klassischen Sinn nicht nötig hat.
Weitere Informationen auf der Homepage von Martin Bruch oder per E- Mail