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Kürzlich wurde der Abschied vom letzten Kindergarten der Lebenshilfe Tirol gefeiert. Ein Schritt mit Symbolkraft: Denn das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung ist wichtig, aber immer noch nicht selbstverständlich. Lebenshilfe-Geschäftsführer Georg Willeit weist im Gespräch darauf hin, dass gerade die Corona-Krise Probleme bei der Inklusion sichtbar gemacht hat.

Es war ein emotionaler Abschied. Es wurde gesungen, gelacht – und auch gegen die eine oder andere Träne gekämpft. In Ötztal-Bahnhof ging dieser Tage eine Ära zu Ende. Ein Kindergarten sperrte zu. Nicht irgendeiner, sondern der letzte der Lebenshilfe Tirol. Sie ist die größte Einrichtung zur Förderung und Betreuung von Menschen mit Behinderung im Land.

Offene Gruppen seit den 1990er Jahren

Bemerkenswert ist der Schritt deshalb, weil die Lebenshilfe damit einen symbolträchtigen Markstein für Inklusion setzt. „Unsere Kindergärten haben Jahrzehnte Familien Sicherheit und Halt gegeben. In den 1990er Jahren haben wir auf Inklusion umgestellt. Heute ist das zum Glück in allen Gemeindekindergärten möglich. Die Zeit ist gekommen, unser Haus zu schließen und die Tür für alle in Richtung Inklusion zu öffnen“, sagt Lebenshilfe-Geschäftsführer Georg Willeit zum Abschied.

Kleine Einheiten statt große Wohnheime

Die Lebenshilfe hat diesen Weg auch in anderen Bereichen beschritten. Im Vorjahr wurde am Domanigweg in Innsbruck ein großes Wohn- und Arbeitshaus für einst bis zu 80 Personen geschlossen. Dort wurde betreut, aber es gab wenig Kontakt zur Außenwelt. Davon will man weg. Die Devise: Kleine Einheiten, Selbstbestimmung, statt „geschützter Werkstatt“ Kooperation mit Firmen. Das Recht von Behinderten auf Teilhabe in allen Lebensbereichen ist in einer UN-Konvention festgeschrieben. Dennoch stoßen Betroffene immer noch auf viele Hürden.

Familien schätzen inklusive Betreuung

Fachleute sind sich einig: Inklusion von Menschen mit Behinderung kann nur funktionieren, wenn sie früh beginnt. Das war auch beim Abschlussfest in Ötztal-Bahnhof Tenor. Als erster der Lebenshilfe-Kindergärten eröffnete dieser 1993 eine inklusive Gruppe. Andere Standorte folgten. „Uns hat das Konzept überzeugt. Wir wollten, dass unsere Kinder in Kontakt mit Kindern mit Behinderung kommen können und lernen, dass Behinderung ganz normal ist“, formulierte es Mutter Julia Fritsch.

Innsbruck in den 1970er Jahren ein Vorreiter

Bis in die 1990er Jahre hatte die Idee der Inklusion einen schweren Stand. Die Stadt Innsbruck war anders. Bereits im Jahr 1977 eröffnete hier ein „Kindergarten für alle“. Damals ein revolutionärer Schritt. Heute hat sich das Konzept weitgehend durchgesetzt. Zumindest für Kinder im Vorschulalter. In Schulen, aber vor allem am Arbeitsmarkt ist das Miteinander noch immer keine Selbstverständlichkeit. Die aktuelle Corona-Krise hat es für Betroffene nicht einfacher gemacht.Lebenshilfe-Geschäftsführer Georg Willeit mit Christiane Slama, Leiterin des Kindergartens Ötztal-Bahnhof, beim Abschiedsfest. Er sieht in Sachen Inklusion noch viel zu tun. 

Inklusion Aufgabe für die ganze Gesellschaft

Lebenhilfe-Chef Willeit sieht Fortschritte bei der Inklusion, aber auch noch viele Hürden. Seit der im Jahr 2008 ratifizierten UN-Behindertenkonvention ist Inklusion als Menschenrecht festgeschrieben. Wo steht die Lebenshilfe Tirol, wo die Gesellschaft? Willeit dazu: „Wir als Organisation stecken in Sachen Inklusion mittendrin. Wir ändern uns, wir werden kleinteiliger, inklusiver, öffnen uns. Aus größeren Wohneinheiten werden kleine WGs – wie zuletzt in Innsbruck, Hall oder Telfs. Aus großen Arbeitsstandorten entstehen kleinstrukturierte Einheiten und Kooperationen mit der Wirtschaft. Aber: Wir haben gerade jetzt in der Corona-Krise gemerkt, dass das keine Sache einer oder mehrerer Organisationen sein kann. Dazu braucht es alle, die ganze Gesellschaft.“

Corona-Krise zeigte Mängel auf

In der Corona-Krise habe sich leider gezeigt, so Willeit, dass Menschen mit Behinderungen kaum miteinbezogen worden seien, unsichtbar waren. „Inklusion und Teilhabe sind noch nicht Wirklichkeit. Menschen mit Behinderungen waren nicht im Krisenstab des Landes, genauso wenig wie Experten, die Menschen mit Behinderungen begleiten. In Krisenzeiten sind Menschen mit Behinderungen wieder ganz schnell Objekt der Fürsorge – und nicht Menschen, die selbstbestimmt leben.“

Betroffene Familien müssen ständig kämpfen

Willeit spricht auch davon, dass Familien mit behinderten Kindern sich nichts mehr wünschen, als Gleichberechtigung und Inklusion. Doch er sieht auch viele Hürden:  „Was stimmt ist, dass viele auch leiden – weil sie ständig um Unterstützung und optimale Begleitung für ihr Kind kämpfen müssen, um Stützkräfte in der Schule etwa. Das macht Angst und Sorgen, das verhindert Inklusion. Nicht, weil Eltern Inklusion nicht wollen, sondern weil die Rahmenbedingungen sie verunsichern.“