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Das Leben mit Hartz-IV ist für niemanden einfach. Menschen mit Beeinträchtigungen waren in den vergangenen Jahren besonders getroffen, wenn sie von der Grundsicherung lebten. Seit 2011 müssen sie auf 20 Prozent des Hartz-IV-Satzes verzichten. Das sind 80 Euro pro Monat.
Selbsthilfeorganisationen und Sozialverbände kritisierten dieses Vorgehen. Zu verhindern war diese Regelung nicht mehr. Der ehemalige Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung von Rheinland-Pfalz vermutet, "dass einfach Sparvorgaben eingehalten werden mussten, ohne genau zu gucken", wer damit getroffen wird.
Seit dem Inkrafttreten der Regelung kam es immer wieder zu Protesten und auch zu einer Welle von gerichtlichen Klagen gegen die neue Regelbedarfsstufe. Immerhin betrifft die Einstufung 30.000 bis 40.000 Menschen.
Susanne Stojan-Rayer hat als Rechtsanwältin mehr als 300 Fälle vor Gericht vertreten. "Wahrscheinlich folgte man bei der Neugestaltung der Prämisse, dass Behinderte im Gegensatz zu nichtbehinderten Hartz-IV-Beziehern dem Arbeitsmarkt nicht dauernd zur Verfügung stehen müssen", vermutet die Kieler Anwältin, die auf Familien- und Sozialrecht spezialisiert ist. Doch viele der Betroffenen arbeiteten in einer Werkstatt und wurden durch die Kürzung doppelt diskriminiert. 
Werkstatt-Beschäftigte verdienen wenig. Das geltende Recht schreibt den Werkstätten vor, mindestens 70 Prozent ihres erwirtschafteten Arbeitsergebnisses als Arbeitsentgelte an die beschäftigten Menschen mit Behinderungen auszuzahlen. Im Jahr 2014 waren das durchschnittlich 180 Euro im Monat. Die Differenz zur Grundsicherung wird aufgestockt – jedoch abzüglich der besagten 80 Euro. Einem Nichtbehinderten, der noch bei den Eltern lebt, steht ab dem 25. Lebensjahr hingegen die volle Grundsicherung zu.
Auch der Achte Senat des Bundessozialgerichts bemängelte diese Abstufung. Die Richter entschieden in drei Grundsatzurteilen, dass die bisherige Kürzung  gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verstößt.
Das Bundes­sozialgericht urteilte, dass diese Einstufungen eventuell nicht verfassungskonform seien. Es forderte die Ämter auf, sofort allen Betroffenen die volle Grundsicherung zu zahlen.
Dieses Urteil wurde jedoch nicht in dieser Form umgesetzt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) schaltete sich ein und teilte mit, dass es "die Auffassung des Achten Senats (des Bundessozialgerichts; Anmerkung der Redaktion) nicht teilt". Das Bundesministerium konkretisiert: "Anders als der erkennende Senat geht das BMAS nicht davon aus, dass die Regelbedarfs­stufe III Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer Behinderteneigenschaft diskriminiert." Und schließlich folgte noch eine direkte Handlungsanweisung für die Grundsicherungsämter. "Solange das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften über die Regelbedarfsstufe III nicht vollständig oder teilweise für verfassungswidrig und deshalb für nichtig erklärt, gelten diese in ihrer jetzigen Form fort", so das BMAS in seinem Rundschreiben.
Seit der vergangenen Woche scheint sich die Haltung des BMAS jedoch zu wandeln.
Erwachsene Menschen mit Behinderung sollen ab sofort den vollen Sozialhilfesatz erhalten, auch wenn sie nicht in einem eigenen Haushalt leben können. Wenn sie beispielsweise bei ihren Eltern wohnen, bekommen sie künftig 80 Euro mehr im Monat. Eine entsprechende Weisung solle an die Bundesländer gehen, sagte ein Sprecher von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD).
2016 soll über eine gesetzliche Neuregelung der sogenannten Regelbedarfsstufe III für Behinderte beraten werden. Bis dahin sind die Ämter angehalten, den vollen Satz zu zahlen.
(Quelle: Jungle World)
(von KI-I)