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Menschen mit Autismus stellen in der Begleitung eine besondere, oft schwierige, jedoch immer faszinierende Herausforderung dar, sowohl für ihre Angehörigen als auch für sie begleitende Fachkräfte in der Behindertenhilfe. Das zeigten auch die Vorträge und Erfahrungsberichte von profilierten Fachleuten und PraktikerInnen der Behindertenhilfe aus Österreich, Deutschland und den Niederlanden zum Thema „Besonders, anders, hochsensibel. Autismus-Spektrum – eine Annäherung“.
Über 1.100 TeilnehmerInnen aus ganz Österreich besuchten das 39. Martinstift-Symposion des Diakoniewerks. Der Festsaal des Brucknerhauses in Linz war dementsprechend gut mit interessiert zuhörenden und mitdiskutierenden Gästen gefüllt.

„Leben mit Autismus – Bewältigungsmöglichkeiten für den Alltag“

Im ersten Fachvortrag des Tages verdeutlichte Nicole Schuster, wie weit sich der Bogen des Autismus-Spektrums spannt und wie unterschiedlich daher auch die Bedürfnisse dieser Menschen sind. Ihre Perspektive ist vor allem die Sicht der Betroffenen, wie Sie im Bericht „Autismus und gesellschaftsfähige Kommunikation – Ein Buch mit sieben Siegeln“ nachlesen können.

Behandlungsansätze von problematischem Verhalten und psychiatrischen Störungen bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS)

Dr. Anton Došen ist Psychiater und emeritierter Professor für „Psychiatrische Aspekte geistiger Behinderung“ an der Universität Nijmegen. Er widmete seinen Vortrag besonders jenen Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen, bei denen zusätzlich Verhaltensstörungen und  psychiatrische Störungen vorliegen.
Dr. Došen berichtet, dass die verschiedenen Behandlungsansätze für Menschen mit Autismus bisher vorwiegend die Kernsymptome von Autismus bestreffen, obwohl bei Betroffenen häufig eine Diskrepanz zwischen kognitiver und emotionaler Entwicklung festgestellt werden kann, was diese Menschen besonders verwundbar für Verhaltensstörungen und psychiatrische Probleme macht. Er plädiert daher für einen integrativen Ansatz. Näheres darüber lesen Sie im Artikel „Behandlungsansätze von problematischem Verhalten und psychiatrischen Störungen bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung“.

Interventionsmöglichkeiten zur Deeskalation

Dr. Ernst Wüllenweber ist Privatdozent an der Martin-Luither-Universität Halle in Deutschland. Er stellte ein von ihm entwickeltes spezielles Programm vor, das Unterstützung in der Bewältigung von kritischen Situationen bei Krisen, Konflikten und Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Autismus bietet. Deeskalation erfordere klares Handeln auf der Grundlage: „Ich weiß, was ich tue, und darauf bin ich vorbereitet!“. Weiters braucht es Konzentration auf die Situation und die Gefahrenabwehr, aber auch Flexibilität. Es gehe in erster Linie um die Unterbrechung des Verhaltensmusters des Menschen mit Autismus in der kritischen Situation, nicht um eine direkte Verhaltenssteuerung. Anhand von Beispielen erläuterte Wüllenweber verschiedene Deeskalationsansätze in der Praxis. Wichtig ist, dass nicht nur Krisen, Konflikte und Verhaltensauffälligkeiten, sondern auch der jeweilige dahinterstehende Problem-komplex im Alltag professionell bearbeitet werden um längerfristig Änderungen festgefahrener Verhaltensmuster zu bewirken und damit die eine oder andere Eskalation zu vermeiden. Wüllenweber zeigte auf, das das unter Umständen auch Veränderungen im Denkmuster der Fachkräfte erfordert. (Quelle: Diakoniewerk)

Teilhabe ERLEben durch Natur- und Erlebnispädagogik

Mag. Gerhard Breitenberger und sein MitarbeiterInnenteam aus dem Diakoniewerk in Gallneukirchen stellten das Konzept der Werkstätte ERLE in Gallneukirchen vor. Die Werkstätte bietet natur- und erlebnispädagogische Angebote (Green Care) für Menschen mit Beeinträchtigungen mit unterschiedlichem Hilfebedarf an. Gerade für Menschen mit autistischer Wahrnehmung stellt die Werkstätte einen besonders geeigneten Rahmen dar, um Teilhabe zu ermöglichen. Für MitarbeiterInnen trägt das Konzept der ERLE zu einer verbesserten Arbeitssituation bei, um mit den herausfordernden Verhaltensweisen der KlientInnen gut umgehen zu können. Ein Bericht aus der Praxis und ein berührender Filmbeitrag von Mag. Erwin Doppler gaben zusätzlich Einblick in die tägliche Arbeit. Die bestehenden und erforderlichen Rahmenbedingungen beleuchteten Christoph Schütz (Leiter Werkstätte ERLE), Andreas Seyr-Rührnössl (Mitarbeiter Werkstätte ERLE) sowie Mag. Christian Ortner (Psychologischer Dienst). Fazit: Die Natur- und Erlebnispädagogik in der Werkstätte ERLE ermöglicht Menschen mit Autismus mehr Teilhabe am Leben, lässt soziales Lernen gelingen und bietet auch die für diese Menschen so wichtigen Rückzugsmöglichkeiten. Großer Wert wird auf die Psychohygiene der MitarbeiterInnen gelegt und ermöglicht ihnen, auch schwierige Situationen gut zu bewältigen. Um diese Rahmenbedingungen dauerhaft absichern zu können hat die Werkstätte ERLE einen um 1/3 höheren Mitarbeiterschlüssel. (Quelle: Diakoniewerk)

Musiktherapie bei Autismus aus entwicklungspsychologischer Sicht

Welche Chancen Musiktherapie in der Begleitung insbesondere von Kindern mit Autismus bietet, erläuterte Dr.in Karin Schuhmacher, die als Professorin an der Universität der Künste in Berlin lehrt. „Musik kann einen Menschen erreichen, ohne dass er Blick- oder Körperkontakt ertragen muss. Musik kann das Kind emotional berühren, ohne dass es eine Leistung, eine Reaktion zeigen muss. Lässt sich das Kind zu einer aktiv produzierten musikalischen Äußerung motivieren, so führt diese die Sinne zusammen und zieht die Erfahrung der Selbstwirksamkeit nach sich. Durch das Mitspiel des Musiktherapeuten ergibt sich ein erster Blickkontakt“, erklärte die gebürtige Grazerin. Die besondere Eigenschaft des Mediums Musik, sich und den anderen zur gleichen Zeit emotional zu erleben wirkt der schweren Kontakt und Beziehungsstörung gerade auch von Menschen mit Autismus und geistiger Behinderung entgegen. „Die qualitative Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens, des kommunikativen Ausdrucksvermögens sowie der Umgang mit Stereotypien können durch die oben genannten musiktherapeutischen Interventionen sichtlich positiv beeinflusst werden“, so die Musiktherapeutin. (Quelle: Diakoniewerk)

Kommunikation – Verstehen und Mitteilen als Basis sozialer Integration

Astrid Fähnrich, Erzieherin und Heilpädagogin aus Nordhausen in Deutschland stellt in ihrem Beitrag „Kommunikation – Verstehen und Mitteilen als Basis sozialer Integration“ das Förderkonzept „Kleine Wege“® vor. Demnach soll eine ganzheitliche Entwicklungsförderung von autistischen Menschen eine möglichst angemessene Integration in soziale Systeme erreichen, selbstbestimmtes Handeln ermöglichen, zu einer weitgehenden Selbständigkeit/Eigenständigkeit führen und eine Entwicklung in allen Bereichen ermöglichen. Elemente dieses Konzeptes sind eine freundliche Zuwendung und positive Ansprache, hilfreiche Rückmeldungen mit differenziertem Lob, Warten, Geduld und „Denkpausen“ für den Betroffenen, auf seine Interessen und Fähigkeiten abgestimmte Spiel- und Handlungsangebote sowie eine modulierte Sprechweise.
„In der Kommunikation mit autistischen Menschen ist es wichtig, kurze Sätze mit eindeutigem Inhalt zu verwenden. Es sollte genau das ausgesprochen werden, was der Betreffende verstehen und tun soll. Das modulierte Hervorheben der wesentlichen Aussage einer komplexen Botschaft mit Signalwörtern ist ein Grundprinzip der Kontaktsprache“, erklärte Fähnrich. „Menschen mit Autismus können sich ihre materielle und personelle Umwelt nur schwer erschließen und verstehen oft nicht ausreichend, welche Anforderungen auf sie zukommen oder welche Aufforderungen sie umsetzen sollen. Sie zeigen Schwierigkeiten verbale Sprache zu verstehen. Das Erkennen und Verstehen von visueller Sprache mittels Objekten, Bildern oder Schrift gelingt ihnen besser. Aus diesem Grund ist es hilfreich, die verbale Ansprache durch visuelle Verstehenshilfe zu ergänzen, um unmittelbar folgende Handlungen anzuzeigen und Verstehen und Orientierung zu erleichtern.“ Insgesamt setze sich Kommunikationsförderung von Menschen mit Autismus aus vielen verschiedenen aufeinander aufbauenden Bausteinen zusammen und sollte immer eingebettet sein in eine ganzheitliche Entwicklungsförderung.“ (Quelle: Diakoniewerk)

Rainman’s Home

Dr. Anton Diestelberger aus Wien stellte das derzeit dreistufige Modell der Tagesstruktur „Rainman’s Home“ in Wien vor, das aus einer Elterninitiative entstanden ist. Dieses Beschäftigungsangebot richtet sich zwar vor allem an Menschen mit Autismus, es werden aber auch Menschen mit Down-Syndrom oder anderen Beeinträchtigung aufgenommen, um eine Durchmischung der einzelnen Beschäftigungsgruppen zu erzielen. „Wir erkunden die Stärken und Schwächen unserer Rainpeople und bauen innerhalb der Gruppe individuelle Förderschwerpunkte auf. Wir wollen vor allem die Stärken forcieren, um das Selbstwertgefühl zu steigern und eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Ohne Beziehungsaufbau sind keine erfolgreichen pädagogischen Maßnahmen möglich!“, betonte der Heilpädagoge. Mit „Rainman’s Home“, vor 20 Jahren gegründet, hat die Elterninitiative im Laufe der Jahre echtes Expertentum entwickelt. Die eigenen Konzepte werden ständig den Erfordernissen angepasst und weiterentwickelt unter der Prämisse: „Die Menschen dort zu fördern, wo sie ihre Stärken haben, damit sie ihre Schwächen leichter ertragen.“ (Quelle: Diakoniewerk)
(von Diakoniewerk Gallneukirchen und KI-I)