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Als ich am Vormittag des 9. April das Landeskulturzentrum Ursulinenhof betrat, empfing mich eine gewaltige Stimmung. Es war gerade Kaffeepause: Menschen, viele davon im Rollstuhl tummelten sich um Kuchen- und Getränkebuffet. An die 500 Leute füllten die Gänge, ich konnte die Registratur kaum finden. Ich packte also meine Kamera aus und warf mich in das Getümmel.

Wie kam ich eigentlich dazu als quasi Unbeteiligte diesen Kongress zu besuchen? Ein Kollege und guter Freund hat mir davon erzählt und es hat mein Interesse geweckt. Ja wie funktioniert das eigentlich bei “denen”? Nach einigen Recherchen mit unterschiedlichem Erfolg im Internet noch neugieriger geworden, habe ich beschlossen einfach hinzugehen.

Durch meine Arbeit am Institut Integriert Studieren an der Universität Linz habe ich natürlich Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Ich weiß dadurch dass sie großartiges leisten können, wenn sie nur die nötige Unterstützung erhalten. Aber Sexualität und Behinderung? Damit habe ich bei meiner Arbeit im Bereich Informationstechnologien und Assistierende Technologien noch nie zu tun gehabt. Und es gehört ja auch nicht unbedingt zum Pausengesprächsthema, man will ja nicht indiskret sein. Schade eigentlich – wie ich jetzt bekennen muss. Manchmal müsste man die Unbeschwertheit eines Kindes haben und einfach Fragen stellen, denn neugierig bin ich ja schon.

Bereits der erste Vortrag von Dr.in Aiha Zemp hat mich mehr für dieses Thema sensibilisiert als alle Recherchen zuvor. In kurzen Worten und mit viel Humor stellte sie ihre 5 Thesen zur Verhinderung von Sexualität von Menschen mit Behinderung vor. Vieles machte sehr betroffen und ich musste gestehen dass ich mich in manchen Punkten wieder fand. Suchte ich nicht auch den idealen Partner und ist dieses Ideal nicht auch mit Schönheit und zumindest “Normalität” besetzt. Habe ich nicht auch schon Sexualität als eine Art Leistungssport gesehen? Man möchte eine gute Sexualpartnerin sein, also muss man die Techniken beherrschen. Habe ich nicht auch jenen, die ihren Körper nicht voll einsetzen können Sexualität nicht zugetraut? Ist nicht mein erster Gedanke beim Thema Schwangerschaft bei Menschen mit mentaler Behinderung gewesen: “Sind die Kinder dann nicht auch behindert?” – als wenn sie dann weniger wert wären – und mein zweiter Gedanke: “Wer soll denn das bezahlen?” Ich schäme mich jetzt dafür und danke Frau Zemp, dass sie mir die Augen geöffnet hat.

Auf den darauf folgenden Vortrag von Nina de Vries, Sexualbegleiterin, war ich bereits sehr neugierig. Von ihr hatte ich bereits im Vorfeld gehört, konnte mir aber unter Sexualbegleitung nicht wirklich etwas vorstellen. Etwas enttäuschend war die Vortragsweise von Frau de Vries. In raschen Worten las sie ihren Text vor, dieser beinhaltete viele Gedankensprünge, sie benutzte keinerlei Präsentationstechnik, nur das reine Wort. Umso mehr war ich erstaunt, dass es dennoch vielen Menschen und auch jenen mit mentaler Behinderung gelungen war, ihr zu folgen. Das wurde klar bei der anschließenden Diskussion, wo sich gerade diese Selbstbetroffenen zu Wort meldeten. “Es geht mir hier zu viel um Sexualität”, meldete sich ein junger Mann, “was wir möchten ist die Möglichkeit einen Partner zu finden!”. Dies stimmte mich sehr nachdenklich, also geht es nicht nur darum einen Hormonstau loszuwerden, diese Menschen suchen Beziehungen, wollen sich verlieben, keinen Sex auf Rezept oder dergleichen. Und ist das nicht das, was wir alle wollen, ist es nicht schon für uns “Normale” schwierig? Wie muss es erst für jene sein denen so viele Barrieren in den Weg gelegt werden?

Dipl. Psych. Lothar Sandfort stellte Sexualbegleitung in ein anderes Licht. An seinem Institut, das Sexualaufklärung von Menschen mit Behinderungen im Rahmen von Erotikworkshops anbietet, arbeiten auch Sexualbegleiterinnen. Offensichtlich ein notwendiger Bestandteil um dem Behinderten die Selbsterfahrung der eigenen Sexualität zu ermöglichen. Hier werden diese Prostituierten – denn Prostitution bleibt diese Tätigkeit – dazu genutzt um diesen Menschen ein Gefühl für ihren eigenen Körper zu geben, damit sie selbst damit umgehen lernen, damit sie lernen dass Sexualität etwas schönes ist. Aber sie müssen auch lernen, dass es auch Grenzen und Enttäuschungen gibt und dass man selbst etwas dazu tun muss. Es gibt wohl das Recht auf Sexualität, diese ist aber nicht selbstverständlich.

Der Tag endete mit der Vorführung des Films: “Die Heide ruft: Sexualbegleitung für Menschen mit Beeinträchtigungen”. In der Diskussion danach gingen die Wogen hoch. Der Konsens daraus: Es besteht die Gefahr dass Menschen mit Behinderungen in Zukunft mit Sex ruhig gestellt werden – früher waren es eben Medikamente, jetzt ist es Sex. Viel wichtiger wäre es aber jenen Menschen die Möglichkeit zu geben ihre Sexualität natürlich auszuleben. Indem man Intimsphäre schafft, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, andere Menschen kennen zu lernen, indem man sie nicht wie geschlechtslose Menschen behandelt, indem man sie in der Gesellschaft als vollwertige Mitglieder akzeptiert.

Nun sind wir – die Gesellschaft – gefragt und wie Frau Zemp so schön sagte: “Es hat 100 Jahre gedauert bis die Gesellschaft den Frauen eine eigene Sexualität zugestanden hat, in weiteren 100 Jahren wird sie dies auch Menschen mit Behinderungen zugestehen.”
(von Priska Feichtenschlager)