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(Artikel aus der Zeitschrift “Behinderte Menschen” Heft 2/2007 – erschienen im Juni 2007; Kontakt: Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.behindertemenschen.at.)

Monika Rauchberger

Wie ich lernte, mich zu trauen, um Unterstützung zu fragen – Monika Rauchberger erzählt

Von Anfang an sagten meine KollegInnen bei Wibs vom Selbstbestimmt-Leben-Zentrum in Innsbruck, dass wir Menschen mit Lernschwierigkeiten es selbst sagen müssen, wenn wir Hilfe brauchen. Wir sollten Arbeiten übernehmen und sie so gut wie möglich machen. Wenn wir etwas nicht konnten, sollten wir Unterstützung holen. Die Menschen mit Lernbehinderung waren verantwortlich dafür, dass die Arbeiten im Projekt gut gemacht werden.

Ich wollte nicht lästig sein und fand es unangenehm, wenn ich ständig fragen musste.

Ich hatte Hemmungen, um Unterstützung zu fragen, und auch ein wenig Angst. Ich kannte mich am Anfang bei verschiedenen Dingen nicht aus und hätte eigentlich sehr viel Hilfe gebraucht. Mir fehlte das Vertrauen in meine Unterstützerlnnen, und deshalb fragte ich nicht oft. Wenn ich zu einem Unterstützer oder einer Unterstützerin etwas sagte, war ich mir nie sicher, ob ich dabei wohl nichts falsch machte. Meistens wartete ich einfach, bis mir jemand Hilfe anbot.
Ich wollte nicht lästig sein und fand es unangenehm, wenn ich ständig fragen musste. Die anderen hatten ja auch so viel Arbeit. Dabei wollte ich viele Dinge wissen: Wie komme ich ins Internet hinein, dass ich Emails abrufen kann? Und wie komme ich aus dem Internet wieder heraus? Oder ich verstand etwas nicht, weil es in einer schwierigen Sprache war. Wenn ich einen Anruf machen musste, brauchte ich Hilfe und forderte sie auch ein. Das ging nicht anders. Immer wieder besprachen wir im Team, dass ich den Unterstützerlnnen sagen sollte, wenn ich etwas brauchte.
Ich musste das Anleiten erst lernen. Anleiten heißt, den Unterstützerlnnen zu sagen, was sie tun sollen. Das war für mich eine sehr ungewohnte Aufgabe. Normalerweise wird uns Menschen mit Lernschwierigkeiten immer gesagt, was wir tun sollen. 29 Jahre lang hatte ich immer vorgeschrieben bekommen, was ich tun soll, und nun sollte ich plötzlich selber entscheiden. Ich habe mir ziemlich schwer getan mit dieser Umstellung.
Die Unterstützerlnnen von Wibs sagten immer wieder zu mir, dass ich endlich anfangen müsse, selber zusagen, was ich brauchte. Sie sagten mir ganz oft, dass sie nicht wissen konnten, wo ich Hilfe brauchte und wie ich mir die Hilfe wünschte. Sie redeten mit mir darüber, dass ich selbst bestimmen sollte, wo und wann ich Hilfe brauchte. Wenn ich das nicht lernte, würde ich nie meine eigene Chefin sein. Dann würden immer die Unterstützer bestimmen, was ich tun kann und was nicht.
Es war ganz wichtig, dass mir die Unterstützerlnnen erklärten, was es heißt, sich Unterstützung zu holen. Ich dachte viel darüber nach, was für mich Unterstützung heißt. Ich redete auch mit meinen KollegInnen mit Lernschwierigkeiten darüber, was gute und was schlechte Unterstützung
ist. Das war für uns immer wieder eine schwierige Frage. Außerdem musste ich lernen zu sagen, was ich nicht so gut kann. Es dauerte ca. ein Jahr, bis ich keine Angst mehr hatte, deshalb meinen Job zu verlieren.
Heute habe ich keine Schwierigkeiten mehr, meine KollegInnen um Hilfe zu fragen. Damals war ich noch nicht so mutig. Ich musste erst meine Hemmungen abbauen und mich trauen zu sagen, was ich von meinen Unterstützerlnnen will.
Wenn Menschen mit Lernschwierigkeiten lernen, die eigenen Wünsche zu sagen, dann brauchen sie viel Geduld mit sich selbst. Je öfter ich mich traute zu fragen, desto leichter ging es. Ich bekam mit der Zeit das Selbstvertrauen, dass ich ruhig fragen darf. Niemand lacht mich aus, niemandem gehe ich auf die Nerven und niemand kündigt mich, nur weil ich etwas nicht kann.
Seit einem Jahr kann ich gut Unterstützung holen. Wenn ich Hilfe brauche, gehe ich zu den Unterstützerlnnen. Ich sage: “Ich brauche deine Hilfe. Hast Du gerade Zeit?” Dann leite ich sie genau an. Ich habe gelernt, genaue Anweisungen zu geben, sonst erhalte ich die Untersützung nicht so, wie ich sie will, Unterstützerlnnen brauchen genaue Anleitungen. Sie warten darauf und müssen wissen, was sie tun sollen und wie sie es tun sollen. Das müssen wir Menschen mit Lernschwierigkeiten ihnen sagen. Die Unterstützerlnnen müssen warten, bis sie von uns einen Auftrag bekommen.
(Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.selbstbestimmt-leben.net/wibs/)

Inhaltsverzeichnis Heft 2/2007

Startet den Datei-DownloadHier können Sie das Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Behinderte Menschen` ansehen (pdf).

Über `Behinderte Menschen`

Anlässlich des 30. Jubiläumsjahrganges der Zeitschrift wurde Anfang 2007 der alte Name “BEHINDERTe in Familie, Schule und Gesellschaft” in “Behinderte Menschen – Zeitschrift für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten” geändert.

Wie kann die Zeitschrift bezogen werden?

Die Zeitschrift kann als Einzelheft aber auch als Jahres-, Studenten- oder Schnupperabonnement bezogen werden. Bestellung und Information unter Öffnet ein Fenster zum Versenden einer E-Mailsekretariat@eu1.at oder Fachzeitschrift `Behinderte Menschen`, Alberstraße 8, 8010 Graz