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Die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten zur Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen – aber es braucht auch die richtige Einstellung.
Wie kann Digitalisierung zur besseren Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesellschaft beitragen? Diese Frage war auch Thema bei der Präsentation der Internetplattform “Digital Austria” vergangene Woche in Wien. Geladen war dazu Jenny Lay-Flurrie, “Chief Accessibility Officer” bei Microsoft. Sie ist bei dem Software-Riesen dafür zuständig, eine “Kultur der digitalen Inklusion” zu schaffen.

Mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt lebe dauerhaft oder temporär mit einer Behinderung. Diese Menschen hätten ein doppelt so hohes Risiko als Menschen ohne Beeinträchtigung, keine Arbeit zu finden oder unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt zu sein, so die Expertin, die seit einer Masern-Erkrankung in der Kindheit taub ist.

Beeinträchtigung als Stärke, nicht als Schwäche sehen

“Wir müssen uns fragen, ob wir wirklich einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung von der Gesellschaft ausschließen wollen oder in der Lage sind, eine Beeinträchtigung auch als Stärke wahrzunehmen”, sagte Lay-Flurrie. Ein Beispiel dafür, was sie mit “Beeinträchtigung als Stärke” meint, ist das Programm zur Anstellung von autistischen Mitarbeitern bei Microsoft. Der Anteil an arbeitslosen oder unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigten Menschen mit Autismus sei mit über 80 Prozent noch einmal höher als bei anderweitig Beeinträchtigten. Gleichzeitig aber hätten sie oft ein hohes Qualifikationsniveau. In Lay-Flurrys Recruiting-Programm für autistische Menschen wird speziell auf deren Bedürfnisse eingegangen – etwa werden sie keinen Interviews ausgesetzt, sondern für eine Probewoche aufgenommen.

Daneben entwickelt Microsoft Erweiterungen für seine Produkte, die etwa Menschen mit Leseschwäche das Lesen ermöglichen.

Dass US-amerikanische Großkonzerne eigene Produkte für beeinträchtigte Menschen entwickeln, hat laut Klaus Miesenberger, Vorstand des Instituts Integriert Studieren an der Kepler Uni Linz, pragmatische Gründe: Schon seit den 1990er Jahren können Diskriminierte im angloamerikanischen Raum ihre Rechte wirksam einklagen. Dazu käme schlicht das wirtschaftliche Interesse, eine große Bevölkerungsgruppe als Markt zu erschließen.

Laut Mikrozensus der Statistik Austria sehen sich mehr als 18 Prozent der Österreicher über 15 Jahre als dauerhaft beeinträchtigt an. Doch noch hätten die Unternehmen keinen Markt erkannt, sagt Miesenberger. Und auch auf rechtlicher Ebene entwickle sich erst langsam ein Klima der Inklusion. Etwa durch die Web-Accessibility-Richtlinie der EU, die einen barrierefreien Webzugang für alle öffentlichen Internetseiten vorschreibt. Oder die Ausschreibungsrichtlinie, durch die Behörden haftbar werden, wenn sie bei Ausschreibungen nicht auf die Barrierefreiheit des Ausschreibungsgegenstandes achten.

“Aus Sonntagsreden werden Ansprüche”

“Schritt für Schritt ändern sich die Bedingungen, und aus Sonntagsreden werden einklagbare Ansprüche”, sagt Miesenberger.

Natürlich eröffne die Digitalisierung neue Möglichkeiten – dadurch werde eine abstrakte Ebene eingezogen, die es ermöglicht, Inhalte multimedial und auf viele Arten darzustellen. Derzeit werde an assistierenden Technologien wie etwa Alternativen zu Tastatur und Maus geforscht. Die Existenz der Technologie alleine sei aber noch kein Allheilmittel, betont Miesenberger. “Es ist ein sozialer Prozess.” Doch dazu müssten zum Beispiel die Entwickler alternativer Systemen wie etwa Zeitungen auch entsprechend ausgebildet sein, um ihre Medien barrierefrei zu gestalten. “Es gibt hier schon internationale Standards, die aber aus Mangel an Bewusstsein nicht umgesetzt werden,” so der Experte. Er sieht aber eine Emanzipationsbewegung der Menschen mit Beeinträchtigungen, die immer weitere Kreise ziehen werde.

Quelle: Wiener Zeitung