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Tastbilder und Guides in Gebärdensprache – Wiens Museen versuchen Kunst barrierefrei zu vermitteln. Aber wie funktioniert das am besten? Das Kunsthistorische Museum (KHM) will das nun gemeinsam mit Betroffenen herausfinden.

„Wir sind hier in dem Gebäude, in dem der Kaiser wohnte“, beginnt die Kulturvermittlerin Rotraut Krall zu erzählen. Es sieht aus wie eine gewöhnliche Führung durch die kaiserliche Schatzkammer im Schweizer Hof – ist es aber nicht. Die Führung ist barrierefrei. Unter den 15 Zuhörern sind ein Rollstuhlfahrer, zwei sehbeeinträchtigte Frauen mit ihren Blindenstöcken, ein Junge mit Downsyndrom, ein Mann mit Lernschwäche und eine gehörlose Frau mit ihren zwei Begleiterinnen, die alles in Gebärdensprache übersetzen.

Krall wählt ihre Wörter mit Bedacht. „Da ist eine Vitrine aus Glas. Sie ist quadratisch und hat einen metallenen Rahmen. In der Vitrine ist eine goldene Krone. Sie ist etwa 30 Zentimeter hoch, verziert mit großen, dreiblättrigen Blumen, und der Rand ist von Perlen gesäumt“, Krall beschreibt die Länge, Höhe und Breite der Objekte genau, in Metern, in Zentimetern. Sie nimmt Rücksicht auf die blinden Teilnehmerinnen und jene, die schlecht sehen.

Workshops mit Beeinträchtigten

Die Führung ist Teil eines Workshops, der etwa zweimal pro Monat im KHM stattfindet. Krall leitet die Workshops. Durch sie soll gemeinsam mit den betroffenen Menschen und ihrem Feedback die Barrierefreiheit im KHM verbessert werden.

All das findet im Rahmen des EU-Projekts „Arches“ statt. Das Projektziel: Menschen mit Beeinträchtigung den Zugang zu Kunst und Kultur zu erleichtern. Finanziert wird es vom europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020, Partner sind etwa das Museo Lazaro Galdiano in Madrid, Spanien, und die University of Bath in England. Das Projekt startete vor zweieinhalb Jahren, im Februar 2018 stieß das KHM dazu.

Bilder zum Anfassen und einfache Beschreibungen

Es geht weiter zu den Krönungsgewändern und der Reichskrone. Krall wählt für die Führung bewusst nur drei Stationen. Die Schatzkammer ist die einzige Institution des KHM, die keine taktilen Gegenstände hat.

„Bei einem blinden Menschen ist es besonders schwierig, Kunst zu vermitteln. Man darf die Objekte normalerweise ja nicht berühren. Da helfen entweder Repliken, wenn es um dreidimensionale Objekte geht, oder sehr ausführliche Textbeschreibungen“, erklärt Krall. Was auch hilft, sind Tastreliefs, also 3-D-Drucke der Malereien. Das KHM und auch das Belvedere haben bereits solche Reliefs in ihrer Sammlung – mehr dazu in Klimts „Kuss“ zum Anfassen.

„Museum, bitte, was ist das?“

Laut einer Hochrechnung der Statistik Austria im Jahr 2015 leben etwa 1,3 Millionen beeinträchtigte Menschen in Österreich. Je nach den Bedürfnissen muss bei der Kulturvermittlung auf andere Dinge geachtet werden. Bei Menschen mit Lernschwierigkeiten geht es vor allem um kurze, präzise Sätze ohne Fremdwörter. Für Hörbeeinträchtigte und Gehörlose hingegen ist eine Beschreibung der Objekte in Gebärdensprache wichtig.

Seit 2010 ist Krall im KHM für die Kunstvermittlung für Menschen mit Behinderung zuständig. „Das war ein Schuss ins Schwarze. Ich habe Besucher, die mir gesagt haben: ‚Ich war noch nie in einem Museum, bitte, was ist das? Was macht man da und wie geht das?‘ Und viele haben gesagt: ‚Mein Gott, endlich können wir das kennenlernen.‘“ Insgesamt sind es um die 2.000 Personen, die das KHM seit 2011 barrierefrei geführt hat.

Apps für barrierefreien Museumsbesuch

Das Ergebnis der Workshops soll unter anderem eine App sein. 20 Objekte des Museums sind darin entsprechend aufbereitet. Mit Hilfe von Fotos und Plänen lotst die App auch durchs Museum. Auch ein neues Tastrelief soll es geben, und zwar von dem Werk „Bauer und Vogeldieb“ von Pieter Bruegel d. Ä. Das Relief soll mit einem Computer verbunden sein und je nach Berührung verschiedene Infos zu den berührten Stellen geben. Bis November 2019 soll alles fertig sein.

„Wir sind noch nicht führend“

Barrierefreie Führungen gibt es im KHM derzeit nur auf Anfrage. Das Museum arbeitet aber an einem eigenen Programm für Menschen mit Behinderung mit monatlich stattfindenden Führungen. Das Belvedere ist eines der wenigen Museen in Wien, das einmal im Monat fixe Führungen für Blinde und Sehschwache anbietet. Für gehörlose Menschen gibt es Multimediaguides mit Videos in Gebärdensprache. Ebenfalls Führungen auf Anfrage, Objekte zum Anfassen und Multimediaguides gibt es etwa im Volkskundemuseum, im Wien Museum und im Römermuseum.

Laut Krall ist es um die barrierefreie Kulturvermittlung in Wien noch nicht so gut bestellt wie in anderen Städten und Ländern. „Wir sind sicher noch nicht führend. Vor allem im Vergleich zu Deutschland, England und den USA. Die sind viel weiter entwickelt und haben schon früher alles Mögliche angeboten. Aber wir holen schnell auf. Es ist schon sehr vieles in kurzer Zeit passiert. Aber es kann noch viel mehr passieren.“

Quelle: orf.at