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Das 50. Martinstift-Symposion ging am Freitag, den 13.10.2023 im Brucknerhaus über die Bühne. Mehr als 600 Teilnehmer:innen kamen, um sich dem Thema “Gute Job-Aussichten!? Menschen mit Behinderung auf dem Weg in ein inklusives Arbeitsleben” zu widmen.

Was möchtest du einmal werden?

Ausgehend von dieser Frage wurden Chancen und Stolpersteine von Menschen mit Behinderungen auf ihrem Weg in die Arbeitswelt aufgezeigt. Es soll nicht nur darum gehen, ob Menschen mit Beeinträchtigungen aufgrund medizinischer Diagnosen als arbeitsfähig oder nicht eingestuft werden, sondern welche Wünsche und Ziele diese Menschen antreiben, um in der integrativen Beschäftigung oder am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Und es braucht Begegnung, um Inklusion voranzutreiben, denn nur wenn Menschen mit Behinderung am täglichen Leben teilnehmen und sichtbar werden, auch in Leitungspositionen oder in der Politik, können Barrieren fallen.

Teilhabe und Teilgabe für mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung

Raul Aguayo-Krauthausen, Inklusionsaktivist, Autor, Moderator und Medienmacher aus Berlin eröffnete die Tagung mit seinem Vortrag „Alle gehören dazu“. Diversität im Geschäftsleben ist auf dem Vormarsch, jedoch werden Menschen mit Beeinträchtigung dabei oft übersehen. Dies geschieht, obwohl gesetzliche Bestimmungen die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vorschreiben. Stattdessen werden Menschen mit Behinderungen noch immer überproportional in Behindertenwerkstätten beschäftigt, wo sie für einen Stundensatz weit unter dem Mindestlohn arbeiten und ein Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nur in den seltensten Fällen schaffen. Doch auch Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes, die Menschen mit Behinderungen anstellen wollen, können ungeahnt Fehler machen.

Wesentliche Impulse aus seinem Vortrag:

  • Jeder ist seines Glückes Schmied, heißt es – aber es hat nicht jede:r Schmied:in Glück. Es macht einen gravierenden Unterschied, welche Chancen und Möglichkeiten das Umfeld bietet. Das Umfeld ist das Problem, nicht das Individuum.
  • Diskriminierung ist auch, eine Sonderbehandlung zu bekommen, obwohl man gar keine will. (Raúl Krauthausen wollte keine gesonderte Berufsberatung als Schüler mit Behinderung, sondern Berufsberatung gemeinsam mit seinen Klassenkolleg:innen)
  • Kinder, die auf Förderschulen geschickt werden, machen schlechtere Abschlüsse als Kinder in inklusiven Schulen, zeigt die Statistik. Das wirkt sich auf Berufschancen aus.
  • Bekommen Menschen mit Behinderungen wirklich markt-adäquate Ausbildungen? Er meint nein. Das führt zu geringer Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt.
  • Keiner will Werkstätten abschaffen, aber Menschen mit Behinderungen in Werkstätten wird oftmals auch Angst gemacht vor dem allgemeinem Arbeitsmarkt.
  • Menschen ohne Behinderungen bestimmen sehr oft, was für Menschen mit Behinderungen gut ist.
  • Menschen mit Behinderungen wird die Erfahrung genommen, Niederlagen zu haben – z.B. selbst draufzukommen, dass eine Ausbildung nicht die richtige war – und eine andere zu beginnen.
  • Wir reden bei Inklusion viel über Teilhabe, aber wenig über Teil-Gabe, also der Möglichkeit des aktiven Mitgestaltens des täglichen Lebens.
  • Es braucht Begegnung, um Inklusion voranzutreiben, denn nur wenn Menschen mit Behinderung am täglichen Leben teilnehmen und sichtbar werden, auch in Leitungspositionen oder in der Politik, können Barrieren fallen.
  • Mit 1,2 Milliarden Menschen bilden Menschen mit Behinderungen die größte Minderheit weltweit.
  • Wann haben Sie das letzte Mal einen Menschen mit Behinderung um Hilfe gebeten?

Mehr zu Raul Krauthausen unter raul.de.

“Wer Inklusion will, findet einen Weg, wer Inklusion nicht will, findet Ausreden.”

Inklusionsaktivist, Autor, Moderator, Medienmacher aus Berlin

Mag.a Dr.in Angela Wegscheider (Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik JKU Linz) und Liam Weingartner (12-jähriger Schüler) haben abwechselnd aus wissenschaftlicher und eigener Perspektive über die Dimensionen von Erwerbsarbeit und zur speziellen Situation von Menschen mit Behinderung gesprochen. Mit ausreichend bezahlter Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, sichert die eigene Existenz am besten ab und ermöglicht Eingebundenheit. Die freie Wahl der Arbeit, und zwar sowohl die Berufswahl als auch die Wahl der individuellen Arbeitsstelle, war und ist für viele Menschen mit Behinderungen nicht selbstverständlich.

Leider gibt es auf dem Weg zur Erwerbstätigkeit von Menschen mit Behinderungen – und somit auch für Liam – in Österreich noch einige Stolpersteine, wie Angela Wegscheider berichtet:

  • Geringe Erwerbsbeteiligung, niedrige Beschäftigungsquote auf dem offenen Arbeitsmarkt, zunehmend hohe Langzeitarbeitslosigkeit
  • Ausgrenzende Wirkung der vom AMS in Auftrag gegebenen Arbeitsfähigkeitsbeurteilung durch die PVA auf der Grundlage medizinischer Kriterien und die daraus folgende Einstufung als „arbeitsunfähig“: Verlust von Kranken- und Pensionsversicherung, Beratungs- und Betreuungsleistungen, Pensionsunfähigkeit, Unumkehrbarkeit, usw.
  • Getrennte Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in (beschäftigungstherapeutischen) Werkstätten, ohne Arbeitnehmerstatus (oder Selbstständigenstatus), “Taschengeld” statt angemessenem Lohn
  • Mangelnde Vereinbarkeit von Leistungen aus den Behindertenhilfe-Gesetzen und der Entlohnung aus der eigenen Erwerbstätigkeit
  • Voraussetzungen für die Bereitstellung persönlicher Assistenz am Arbeitsplatz auf Basis vom medizinischen Modell der Behinderung
  • Fehlen einer integrativen beruflichen Orientierung und Ausbildung für Menschen mit Behinderungen, insbesondere für junge Menschen mit Behinderungen

Es gibt auch Best Practices, von denen Österreich noch viel lernen kann. Zum Beispiel: Irland – hier gibt es bereits seit 25 Jahren ein Supported Employment Service sowohl für Arbeitnehmer:innen mit Behinderung als auch Arbeitgeber:innen.

Unterstützte Kommunikation für Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz

Liam (Bild links) besitzt eine eingeschränkte Lautsprache und kommuniziert seit seinem 2. Lebensjahr mit einem Sprachcomputer von LIFEtool, der mit Augensteuerung funktioniert. Er ist ein aufgeweckter Jugendlicher, sehr gut in der Schule und hat viele Wünsche und Ziele. Sein Berufswunsch: Softwareentwickler werden.

Doch ist das möglich? Liam, seine Familie und das Team von LIFEtool sind überzeugt: mit seinem starken Willen und den richtigen Tools schafft es Liam.

Mario Marusic (Bild Mitte) und  Natascha Toman (Bild rechts) haben in ihrem sehr lebendigen Vortrag aus der Praxis erzählt. Das Besondere: Natascha Toman spricht mit einem Sprachcomputer, den sie mit Augensteuerung bedient und Mario Marusic hat dem Publikum seine Integra Maus vorgeführt, die er mit dem Mund bewegt und dadurch am Computer arbeiten, Musik machen oder Spiele spielen kann. Beide haben einen Job (Natascha bei myAbility und Mario in der Forschung von LIFEtool), stehen mitten im Leben und genießen es mit all seinen Facetten. Natascha Toman ist vor kurzem nach Kapstadt gereist, hat sich ein Auto gekauft und ist zu ihrem 30. Geburtstag mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug gesprungen. Mario Marusic ist oft mit Freunden unterwegs, auf Reisen und geht seiner Liebe zur Musik nach – als DJ wird er regelmäßig gebucht. Völlig „normal“, oder? Dank Assistierender Technologien ist Kommunikation und Teilhabe und somit auch ein Job möglich. 

Mag.a Irmgard Steininger, Beraterin bei LIFEtool, ist in ihrem Vortrag auf die Entwicklung dieser Tools in den letzten 25 Jahren eingegangen und darauf, welche Möglichkeiten an technischer Unterstützung es zukünftig geben wird. Eine wichtige Unterstützung um Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben zu integrieren.

Erfolge feiern – Menschen mit Behinderung, die es geschafft haben

Den Abschluss der Tagung machten Kolleg:innen aus dem Diakoniewerk, die Menschen mit Behinderungen auf ihrem Weg in ein Arbeitsleben unterstützen und begleitete Mitarbeiter:innen, die es bereits „geschafft“ haben. Berichtet haben: Melanie Knödl, Maximilian Eibl, Johanna Schedlberger, Helmut Ameseder, Barbara Eberharter-Lanner, Monika Engler.

Viel Inspirierendes, Bestärkendes und Lohnendes war im Symposion zu hören und spüren, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderungen dabei zu unterstützen, dass sie Antworten geben können auf die Frage, was sie einmal werden möchten und noch viel wichtiger: wie sie diesen Berufswunsch auch umsetzen können. Wichtig waren auch die kritischen Hinweise und Thesen, uns nicht nur im Gelungenen zu bestärken, sondern auch ganz konkret zu benennen, wohin wir weiter auf dem Weg sind und sein müssen.

Danke an alle – vor allem an die Referent:innen und die Teilnehmer:innen