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Neues Präsidium der Lebenshilfe ortet Nachholbedarf beim Angebot für Menschen mit Beeinträchtigung und präsentiert ihr Zukunftsbild von Inklusion

Nach einem erfolgreichen Jubiläumsjahr „50 Jahre Lebenshilfe Oberösterreich“ startet der größte Träger der OÖ Behindertenhilfe gestärkt in eine neue Amtsperiode. Helga Scheidl wurde als Präsidentin bestätigt, DI Stefan Hutter wird an der Seite von Dr. Josef Stockinger neuer Vizepräsident der Lebenshilfe Oberösterreich. Trotz Aufschwung in den letzten Jahren ortet das Präsidium der Lebenshilfe Oberösterreich einen Nachholbedarf beim Abbau der Wartelisten von Wohnplätzen für Menschen mit Beeinträchtigung. Für die Zukunft hat die Lebenshilfe Oberösterreich eine klare Vision: Mehr Selbstbestimmung und Inklusion, Wahlmöglichkeiten beim Wohnen und einen Ausbau der Integrativen Beschäftigung.

Scheidl als Präsidentin und Stockinger als Vizepräsident bestätigt, Hutter wird neuer Vizepräsident der Lebenshilfe OÖ

In der Delegiertenversammlung vom 9. November wurde Helga Scheidl bei den satzungsmäßig im 4-Jahres-Rhythmus vorgeschriebenen Neuwahlen des Vereins Lebenshilfe Oberösterreich als Präsidentin der Lebenshilfe Oberösterreich wiedergewählt. Scheidl startet in ihre zweite Funktionsperiode als Präsidentin, bereits seit 2011 setzt sich die Mutter eines beeinträchtigten Sohnes in der Lebenshilfe für Menschen mit Beeinträchtigung ein. „Es ist mir ein Anliegen, die Sichtweise von Angehörigen in die wichtige Arbeit der Lebenshilfe einzubringen“, erklärt die Riederin. Vizepräsident Dr. Josef Stockinger wurde ebenso wiedergewählt, DI Stefan Hutter folgt Christa Buchner als weiterer Vizepräsident der Lebenshilfe Oberösterreich nach. Zusammen mit den Arbeitsgruppenvertretern Arnold Bauer (AG Gmunden), Ing. Michael Fröschl (AG Perg), Prof. Günther Neidhart (AG Weyer), Brigitte Swoboda (AG Braunau), Gunter Mayrhofer (AG Steyr), Ing. Heinz Haghofer (AG Mattighofen – Ersatzmitglied) und Mag. Klaus Schobesberger (AG Linz – Ersatzmitglied) bilden Helga Scheidl, Dr. Josef Stockinger und DI Stefan Hutter den Landesvorstand des Vereins Lebenshilfe Oberösterreich.

DI Hutter will sich als sozialer Gesellschaftsarchitekt einbringen

„Ich bin jetzt 50 Jahre alt und habe ein erfülltes Leben. Daher ist es mir ein Anliegen, mit einem sozialen Engagement etwas zu bewirken und die persönliche Erfahrung mit meiner Schwester hat mich zur Lebenshilfe geführt“, erklärt DI Stefan Hutter. Der Bauingenieur aus Linz bringt durch seine Schwester, die in der Werkstätte Linz Urfahr begleitet wird, einen sehr persönlichen Bezug zu Menschen mit Beeinträchtigung mit. „Als meine Eltern 2004 erkrankten, war ich plötzlich in der Verantwortung und sehr froh, rasch einen Kurzzeitplatz gefunden zu haben. Aufgrund der familiären Notsituation konnte schließlich ein Wohnplatz in der Volkshilfe für sie gefunden werden“, blickt er zurück. Welch hohe Bedeutung die Verfügbarkeit von Kurzzeit- und Wohnplätzen für Menschen mit Beeinträchtigung haben, hat er in dieser Zeit am eigenen Leib erfahren.

DI Stefan Hutter ist hauptberuflich Vorstandsobmann der WSG und hat Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Trägern im Sozialbereich. 2017 startete er als Kassier der Arbeitsgruppe Linz seinen Einsatz für die Lebenshilfe Oberösterreich. Der ehemalige Linzer Gemeinderat, der hohen Wert auf sachorientiertes Arbeiten legt, ist auch im Landesvorstand der gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV OÖ) aktiv. „Beruflich beschäftige ich mich Tag für Tag mit sozialen Planungen in Gemeinden. Inklusion von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung wird bereits immer mehr gleich bei neuen Wohnprojekten mitgedacht. In diesem Bereich kann ich auch in Zukunft einen Beitrag dazu leisten, dass Inklusion vorangetrieben wird“, ist Hutter überzeugt.

Auch Dr. Josef Stockinger, Generaldirektor der OÖ Versicherung, der seit 2015 das Amt des Vizepräsidenten innehat, setzt sich ehrenamtlich für die Anliegen von Menschen mit Beeinträchtigung ein. Der frühere Landesrat bringt einen Fundus an Managementerfahrung und Kontakten mit. „Es ist mir ein Anliegen, mein Know-How, meine Erfahrung und meine Netzwerke einem Bereich zur Verfügung zu stellen, dessen kleine aber engagierte Lobby vorwiegend aus Betroffenen und Angehörigen von Menschen mit Beeinträchtigung besteht“, erklärt Stockinger.

Miteinander als Erfolgsrezept

Anlässlich ihres 50-Jährigen Jubiläums ist der Lebenshilfe unter dem Motto „Mehr Miteinander seit 50 Jahren“ das ambitionierte Ziel gelungen, den aktuellen Weltrekord der “largest drumming lesson“ von 1827 Trommelschülern zu überbieten und mit 2285 Djembenspielern einen neuen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde zu beantragen. Teilnehmer mit und ohne Beeinträchtigung von nah und fern, darunter auch viele Schulen, Musikgruppen, andere Träger der OÖ Behindertenhilfe und natürlich die Lebenshilfe selbst reisten an, um gemeinsam etwas Großes zu schaffen. „Dieser Jubiläumsevent hat Wellen geschlagen. Der Zusammenhalt war deutlich spürbar und auch Personen, die zuvor noch keinen Kontakt mit der Lebenshilfe hatten, haben ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht“, freut sich die Präsidentin der Lebenshilfe Oberösterreich.

Lebenshilfe ist beherzte Wegbegleiterin bei einem selbstbestimmten Leben und sinnerfüllten Wirksam-Sein in der Gesellschaft

Gestärkt durch die starken Lebenszeichen im Jubiläumsjahr, zu denen auch eine große Feier aller Mitarbeiter, Vereinsmitglieder und Menschen, die in der Lebenshilfe begleitet werden zählte, startet die Lebenshilfe Oberösterreich in die nächsten 50 Jahre. „Wir haben unser 50-jähriges Jubiläum zum Anlass genommen, unsere Identität zu schärfen. Das beherzte Begleiten von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung hin zu einem selbstbestimmten Leben und sinnerfüllten Wirksam-Sein in der Gesellschaft ist das Zentrum all unseres Selbstverständnisses, Handelns und Wirkens“, erklärt Mag. Gerhard Scheinast, Geschäftsführer der Lebenshilfe Oberösterreich.

Stockinger ortet ein verstärktes Selbstverständnis in der fortschreitenden Geschichte der Lebenshilfe Oberösterreich. „Wir sind selbstbewusster in unserem Auftreten geworden und nehmen unsere Aufgabe als Lobby für Menschen mit Beeinträchtigung verstärkt wahr. Wir haben aber auch gelernt, dass Ausdauer notwendig ist, um die Zukunft von Menschen mit Beeinträchtigung in Österreich nachhaltig zu verbessern. Gerade bei den Wohnplätzen müssen wir eine Entwicklung von einem Notfallmanagement hin zu Wahlmöglichkeiten schaffen“, so Stockinger.

Nachholbedarf bei Wohnplätzen trotz Aufschwung in den letzten Jahren: Knapp 500 fehlende Wohnplätze bereiten Angehörigen Zukunftssorgen

Blickt Scheidl auf den Start in ihre vierjährige Funktionsperiode zurück, wird sie vor allem an die Zeit der Sparpakete erinnert. „Als ich 2015 Präsidentin wurde, mussten Mitarbeiter abgebaut werden, der Unmut der Angehörigen über den höheren Kostenanteil bei den Ferienaufenthalten war groß und die Wartelisten für einen Wohn- oder Werkstättenplatz für Menschen mit Beeinträchtigung wurden immer länger“, so Scheidl. Von 2009 bis 2015 ortete die Präsidentin der Lebenshilfe Oberösterreich einen Stillstand bei den Bauprojekten und pochte vehement auf den Abbau der Wartelisten.

In seiner Antrittsrede 2017 kündigte Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer an, in der bis 2021 laufenden Legislaturperiode 400 zusätzliche Wohnplätze für Menschen mit Beeinträchtigung zu schaffen. Die Lebenshilfe Oberösterreich ist hocherfreut darüber, dass das dringendste Problem in der OÖ Behindertenhilfe in Angriff genommen wird. In den vergangenen Jahren konnten wieder dringend benötigte Plätze geschaffen werden, innerhalb der Lebenshilfe etwa mit einer Werkstätte in Haag am Hausruck, Wohnhäusern in Großraming und St. Peter am Wimberg, teilbetreuten Wohngruppen in Ried und Braunau oder mit den Wohnhäusern in Gmunden und Unterweissenbach, die sich gerade in Bau befinden. „Es bewegt sich wieder was“, ist Scheidl erfreut, merkt aber auch an: „Jedes Projekt hat seine Vorlaufzeit und es fehlen noch immer knapp 500 Wohnplätze. Wir haben noch viel Nachholbedarf – es darf keinen Stillstand mehr geben!“

Laut Bedarfszahlen des Landes OÖ, Sozialabteilung, hatten mit Stichtag 31.12.2018 411 Personen einen sofortigen Bedarf an Wohnplätzen, 193 weitere Personen hatten einen Bedarf innerhalb eines Jahres angemeldet. Bis Ende des heurigen Jahres entstehen lt. Sozialabteilung 121 zusätzliche Wohnplätze, wodurch beinahe 500 weitere dringend benötigte Wohnplätze fehlen.

Scheidl verliert als Vertreterin der Angehörigen auch deren Bedürfnisse nicht aus den Augen und wünscht sich, dass der „Bitte-Warten-Modus ein Ende erfährt. „Fehlende Perspektiven auf einen Wohnplatz bereiten Angehörigen große Zukunftssorgen. Es kann nicht sein, dass Menschen mit Beeinträchtigung erst mit 50 von daheim ausziehen können und auch für Angehörige ist es eine Zumutung, dass erst ein familiärer Notfall eintreffen muss, damit ein Wohnplatz angeboten werden kann“ weiß Scheidl als Mutter eines beeinträchtigten Sohnes. Darüber hinaus ist die aktuelle Situation gerade für Jugendliche noch weit entfernt von Selbstbestimmung. „Auch Jugendliche träumen vom selbstständigen Wohnen und kommen derzeit kaum zum Zug“, so Scheidl.

Zukunftsbild Inklusion: Integrative Beschäftigung und Wahlmöglichkeiten statt Notfallmanagement beim Wohnen

Auch wenn sich Oberösterreich in Hinsicht auf Wohnplätze für Menschen mit Beeinträchtigung noch in der Nachholphase befindet, gilt es das Zukunftsbild von Wohnformen für Menschen mit Beeinträchtigung zu prägen. „Es braucht eine Angebotsvielfalt, und vor allem teilbetreute Wohnungen im öffentlichen Wohnbau müssen forciert werden. Parallel dazu stehen in den nächsten Jahren viele Sanierungsprojekte an“, zeigt Stockinger auf. „Jede Person soll so selbstständig wie möglich leben können. Viele Personen könnten mit einem entsprechenden Training teilbetreut leben. Dazu bedarf es allerdings Personalressourcen, die derzeit nicht vorhanden sind“, erklärt Scheidl.

Aber nicht nur im Wohnbereich, sondern auch im Bereich Arbeit sind die Segel in Richtung Inklusion gesetzt. In Form der Integrativen Beschäftigung arbeiten immer mehr Menschen mit Beeinträchtigung dort, wo auch andere Menschen arbeiten. Ein Viertel aller Beschäftigten nutzt das Angebot der Integrativen Beschäftigung, mehr als 300 Personen arbeiten mehr als vier Stunden pro Woche in Wirtschaftsbetrieben oder in ausgelagerten Cafés und Hofläden – die Lebenshilfe zählt bereits mehr als 100 Partner der Integrativen Beschäftigung. „Dabei gilt es aber zu bedenken, dass es sich bei einem Großteil um tage- bzw. stundenweise Tätigkeiten handelt und um keine Vollzeit-Beschäftigung. Man darf auch nicht vergessen, dass die Einbegleitung in eine Integrative Beschäftigung einen großen Zeitaufwand darstellt“, merkt Scheinast an. „Die Integrative Beschäftigung ist kein Wunderrezept für alle Menschen. Werkstätten werden daher auch in Zukunft notwendig sein. Es bedarf der Angebotsvielfalt“, zeigt Stockinger die Grenzen der Integrativen Beschäftigung auf.

Ein weiteres Thema in Bezug auf Arbeit für Menschen mit Beeinträchtigung ist „Gehalt statt Taschengeld“. Erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung wollen nicht wie Kinder behandelt werden und fordern einen wertschätzenden Umgang. „Uns ist bewusst, dass dieser Wunsch mit einer langwierigen Entflechtung der Finanzströme und sozialen Sicherungssysteme einhergeht, hoffen aber trotzdem, dass die Regierung dieses Thema aufnimmt“, so Stockinger.

„Die Reife einer Gesellschaft und eine demokratische Kultur zeigt sich darin, wie die Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Wir können nur hoffen, dass bei zukünftigen Wirtschaftskrisen nicht wieder Personengruppen wie Menschen mit Beeinträchtigung in den Wartemodus gezwungen werden“, gibt Stockinger abschließend zu denken.

Quelle: lebenshilfe.org