Warum viele einem Arbeitgeber gegenüber nichts von ihrer Behinderung erzählen, erklärt Julia Moser, Senior Director von “myAbility”, im Interview.
Die Meldungen zu den Arbeitslosenzahlen zeigen seit einigen Jahren eine ähnliche Tendenz: Die Arbeitslosenquote sinkt zwar seit 2016 – jene der Menschen mit Behinderung ist aber stets höher als die allgemeine Arbeitslosenquote. Diese betrug 2016 nach nationaler Berechnung 9,1 Prozent, im Vorjahr 7,4 Prozent. Für begünstigt behinderte Menschen lag sie 2016 bei 9,3 Prozent, im Vorjahr bei 7,6 Prozent. Oder anders ausgedrückt: Die allgemeine Erwerbsquote betrug bei Menschen ohne Behinderung 2018 rund 77 Prozent, während lediglich etwa 60 Prozent der Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig respektive arbeitssuchend waren.
Die Krux liegt allerdings in der Bezeichnung begünstigt behinderte Menschen. Eine der Voraussetzungen für diese ist, dass die Landesstelle des Sozialministeriumservice einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent feststellt. In diese Gruppe fallen rund 110.000 Menschen, sie bilden daher nur einen geringen Teil der Menschen mit Behinderung ab. Fasst man den Begriff weiter beziehungsweise zählt auch jene dazu, die keinen Antrag auf Begünstigung gestellt haben, werden zu diesen laut Statistik Austria 18,4 Prozent der Wohnbevölkerung gezählt – in Zahlen sind das rund 1,3 Millionen Menschen.
Nur vier Prozent der Behinderungen liegen bei der Geburt vor. Der restliche Anteil tritt im Laufe des Lebens etwa durch eine Erkrankung oder einen Unfall auf und kann zum Beispiel eine schwere Seheinschränkung oder Epilepsie sein.
Viele halten ihre Behinderung bei der Bewerbung oder ihrem Arbeitgeber gegenüber jedoch geheim, sagt Julia Moser von “myAbility”, einer Organisation, die Firmen bei der Einstellung von Menschen mit Behinderung berät. Warum das so ist und was das für beide Seiten bedeuten kann, erklärt Moser im Interview mit der Wiener Zeitung.
“Wiener Zeitung”: Ist man verpflichtet, seine Behinderung bei der Bewerbung bekanntzugeben?
Julia Moser: Grundsätzlich nicht, es sei denn, die Behinderung wäre gefährdend für den Job – zum Beispiel, wenn man sich mit einer Sehbehinderung als Taxifahrerin bewirbt.
Darf der Arbeitgeber einen Bewerber danach fragen?
Nein, das könnte diskriminierend sein.
Warum erzählen Betroffene nicht von ihrer Behinderung?
Weil sie Angst haben, gekündigt zu werden. Der erhöhte Kündigungsschutz, der im Behinderteneinstellungsgesetz geregelt ist, betrifft nämlich nur die kleine Gruppe der begünstigt behinderten Menschen. Stellt ein Unternehmen einen begünstigt behinderten Menschen an, gilt vier Jahre danach der erhöhte Kündigungsschutz – steht dann eine Kündigung im Raum, braucht es dafür die Zustimmung des Behindertenausschusses. Erlangt ein bereits bestehender Mitarbeiter eine Behinderung, kann der Kündigungsschutz auch sofort schlagend werden.
Ist dieser der Hauptgrund für die offensichtliche Angst vieler Firmen, behinderte Menschen einzustellen?
Vermutlich. In vielen Köpfen ist noch verankert, dass der erhöhte Kündigungsschutz sechs Monate nach der Einstellung gilt, wie das früher der Fall war. 2011 wurde diese Frist auf vier Jahre verlängert. Ab einer Größe von 25 Mitarbeitern ist eine Firma zwar verpflichtet, pro 25 Arbeitnehmer einen behinderten Menschen anzustellen, und erhält für diesen Lohnkostenförderungen von bis zu 300 Euro monatlich – tut sie das nicht, zahlt sie aber eben die Ausgleichstaxe von bis zu 400 Euro monatlich.
Inwieweit bekommen Menschen mit Behinderung den Job, der ihnen entspricht?
Viele steigen mit einem niedrigeren Gehalt ein oder unterhalb ihrer Qualifikation. In Branchen, in denen es generell schwierig ist, Arbeitskräfte zu finden, ist die Bereitschaft höher, Menschen mit Behinderung einzustellen. Blinde werden auch oft mit Callcentern assoziiert oder Menschen im Rollstuhl mit Büroarbeit – obwohl es genug Rollstuhlfahrer gibt, die ständig unterwegs sind und der technologische Fortschritt immer mehr Möglichkeiten eröffnet. Frauen mit Behinderung haben es am Arbeitsmarkt besonders schwer. Versteckt man seine Behinderung aber und fragt nicht nach Hilfsmitteln, schadet das den Betroffenen als auch den Unternehmen umso mehr. Daher freut es mich, wenn immer mehr Unternehmen den Wert von Menschen mit Behinderung als Mitarbeiter und Kunden erkennen und zu schätzen wissen. Das treibt Inklusion voran.
Quelle: wienerzeitung.at