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(Artikel aus der Zeitschrift “Behinderte Menschen” Heft 1/2007 – erschienen im März 2007; Kontakt: Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.behindertemenschen.at.)

Warum ich nach zehn Jahren nicht mehr in der Reha-Werkstätte arbeiten wollte – Monika Rauchberger erzählt

Ich fing im August 1989 an, in einer Werkstätte zu arbeiten. Damals war ich 18 Jahre alt.
Ich machte verschiedene Handarbeiten: Bilder sticken, große und kleine Teppiche weben, kaputte Seidenstrümpfe zusammenknüpfen, damit daraus Teppiche gewebt werden konnten, stricken, filzen und für den Kunstkalender unserer Werkstätte ein Bild malen.
Ich musste auch sinnlose Arbeiten machen, z.B. ewig lang Speckstein oder Holzklötze schleifen, irgendetwas zeichnen, Seidenpapier zerreißen oder Listen auf dem Computer ausfüllen. Aber auch andere Arbeiten wie Teppiche weben sind mir sinnlos vorgekommen, weil niemand die Teppiche kaufen wollte. Es gab Arbeiten, die ich nicht gerne tat, z.B. die Schmutzwäsche der Werkstätte ins Wohnheim führen und die saubere Wäsche wieder mitbringen. Vor der Schmutzwäsche ekelte mich.
Es gab auch Arbeiten, die ich gerne gemacht hätte. Nützliche Tätigkeiten wie Büroarbeiten. Ich hätte so gerne Einladungen oder Vorankündigungen geschrieben, Adressenetiketten auf Briefumschläge geklebt, die Briefe in die Umschläge gesteckt, auf dem Computer wichtige Sachen geschrieben oder was sonst noch so in einem Büro anfällt. Eine Zeitlang durfte ich das auch tun, ich arbeitete eine Woche lang am Nachmittag im Büro. Dann kam eine andere Arbeitskollegin für eine Woche dran, und dann kam wieder ich dran. Für mich war das richtige Arbeit. Am Ende kam ich in die Holzwerkstätte, wo auch mit Speckstein gearbeitet wurde. Dort gefiel es mir nicht so gut, denn es gab zu wenig Arbeitszeit für die vielen Aufträge. Außerdem  war es sehr oft extrem laut, was mich ziemlich angestrengte. Ich konnte mich sehr oft nicht mehr konzentrieren. Außerdem machten einige Menschen mit Lernschwierigkeiten einfach, was sie wollten.
Häufig wurden während der Arbeitszeit Spiele gemacht, oder wir gingen spazieren. Die WerkstättenleiterInnen fragten uns nicht einmal, ob wir das überhaupt wollten. Ich habe das nie verstanden. Arbeitszeit ist keine Freizeit. Zum Spielen und Spazieren-Gehen hätten wir zu Hause bleiben können. Mich störte auch, wenn KollegInnen in der Arbeitszeit schliefen. Dazu gab es einen Ruheraum, aber manche schliefen einfach neben mir. Das Taschengeld bekamen sie, egal, ob sie gearbeitet oder geschlafen hatten. Das fand hab ich ungerecht.
Was mich sehr ärgerte, war, dass die WerkstättenleiterInnen oft nicht dahinter waren, dass wir noch etwas dazulernten. Ich sah überhaupt nicht ein, warum sie sich nicht mehr bemühten, uns eine richtige Arbeitsstelle zu suchen. Es ist wichtig, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten etwas Nützliches arbeiten und auch geregelte Arbeitszeiten haben. Wir brauchen die Möglichkeit, auf richtigen Arbeitsplätzen Geld verdienen zu können.
Nach einiger Zeit fuhr ich echt ungern in die Werkstätte. Es war mir einfach alles zu viel, und ich hatte keine Energie mehr, dort weiterzuarbeiten. Ich dachte im Stillen, dass ich nicht bis zu meinem Lebensende in der Werkstatt arbeiten wollte, denn da würde ich nichts mehr dazu lernen. Ich träumte davon, in einem Büro zu arbeiten, und träumte von mehr Geld. Das Taschengeld, das ich in der Werkstätte bekam, war eindeutig zu wenig. Am Anfang war ich mit dem Taschengeld zufrieden gewesen. Ich hatte geglaubt, dass alle Menschen so viel Geld bekämen wie ich und dass ich einen richtigen Arbeitsplatz hätte. Aber in der Klinik fragten sie mich immer, wo ich arbeiten würde. Und als ich dann sagte, dass ich in einer Werkstätte arbeitete, sagte man mir, dass das nicht stimme, dass ich gar keine richtige Arbeit hätte, sondern nur in der Beschäftigungstherapie arbeiten würde. Das ärgerte mich, denn ich arbeitete doch jeden Tag richtig. Außerdem erklärten mir einige meiner behinderten Freunde, die selbst richtige Arbeit hatten, dass ich keinen Gehalt bekäme sondern viel weniger. Deshalb fragte ich den Werkstättenleiter, warum wir nicht mehr Lohn bekommen könnten. Er meinte, der Grund dafür sei, dass sie Geld einsparen müssten.

Ich träumte davon, in einem Büro zu arbeiten, und träumte von mehr Geld. Das Taschengeld, das ich in der Werkstätte bekam, war eindeutig zu wenig.

Vor drei Jahren bewarb ich mich bei dem EU-Projekt von Selbstbestimmt Leben Innsbruck. Meine BetreuerInnen und meine KollegInnen in der Werkstätte rieten mir ab. Sie sagten, dass ich es auf einem richtigen Arbeitsplatz nicht schaffen würde. Sie hatten Angst, weil sie überhaupt keine Vorstellung hatten, was ich an meinem neuen Arbeitsplatz tun musste.
Sie glaubten nicht, dass ich mit meinen Einschränkungen, mit meiner Behinderung, einen richtigen Job schaffen könnte. Sie hatten Bedenken, dass ich einige Arbeiten nicht alleine machen konnte und dass ich für manche Arbeiten länger als einen Tag brauchte. Sie fragten mich auch, was nach den drei Jahren sein würde, wenn es das Projekt nicht mehr gäbe. Aber ich wollte das Risiko eingehen. Ich war überzeugt davon, dass ich die Arbeit bestimmt schaffen würde. Ich hatte ein gutes Gefühl. Damals sagte ich zu meinen KollegInnen und BetreuerInnen, dass ich in meinem Leben alles einmal ausprobieren wollte, auch wenn es schief ging.
Nun bin ich schon seit fast drei Jahren bei Wibs` angestellt. Ich habe einen richtigen Job, mit ordentlichem Gehalt und Sozialversicherung. Wenn ich nicht mehr hier arbeiten könnte, wäre ich unglücklich und hätte ein ungutes Gefühl in mir. Ich hätte Angst, dass ich keine richtige Arbeit mehr finde. Auf jeden Fall würde ich rechtzeitig eine neue Arbeitsstelle suchen. Ich würde gerne ausprobieren, ob ich an einem neuen Arbeitsplatz auch gut arbeiten kann.
In die Werkstätte will ich auf keinen Fall mehr zurück. Ich will unbedingt wieder einen richtigen Job haben und werde mir Unterstützung holen, damit ich einen finde. Bis jetzt habe ich immer noch irgendwie alles geschafft. Ich gebe nicht auf.

In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift BEHINDERTe Menschen:

Wie ich bei Wibs lernte, dass ich mich traue, um Unterstützung zu fragen Wibs: Innsbrucker Selbstbestimmt Leben  Initiative “Wir informieren, beraten und bestimmen selbst”: Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.selbstbestimmt-leben.net/wibs/.

Inhaltsverzeichnis Heft 1/2007

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Über `Behinderte Menschen`

Anlässlich des 30. Jubiläumsjahrganges der Zeitschrift wurde Anfang 2007 der alte Name “BEHINDERTe in Familie, Schule und Gesellschaft” in “Behinderte Menschen – Zeitschrift für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten” geändert.

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