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23.500 Menschen in Österreich arbeiten in Tageswerkstätten. Sie haben eine Behinderung und wurden als „arbeitsunfähig“ kategorisiert. Doch obwohl sie in diesen Werkstätten arbeiten, bekommen sie keinen Lohn, sondern nur ein Taschengeld. Sie sind nicht versichert und können vom Taschengeld nicht leben. Im Alter haben sie keinen Anspruch auf eine Pension. So stößt man behinderte Menschen direkt in die Armutsfalle.

Stellt euch vor, ihr seid erwachsen, arbeitet – und werdet vom Staat dennoch als Kind gewertet. So ergeht es Menschen mit Behinderung in Österreich, zumindest wenn es um Versicherungen geht. Denn wenn sie in die Kategorie „arbeitsunfähig“ fallen, können sie nur in bestimmten Einrichtungen arbeiten. Dort bekommen sie nur ein Taschengeld und sind weder sozial-, noch kranken-, noch pensionsversichert. Sie müssen sich bei einem Elternteil mitversichern.

Das widerspricht unter anderem der UN-Behindertenrechts-Konvention. Darüber hinaus rächt sich diese Regelung dann auch im Alter nochmal: Denn ohne Pensionsversicherung keine Pension. Der Weg in Armut im Alter ist vorgezeichnet. Nur wenige haben mit 65 noch lebende Eltern, die sie mitversorgen können. Und: So sollte es ja auch nicht sein.

Behindertenvertreter fordern deshalb schon lange, dass behinderte Menschen selbstständig versichert sind.

„Menschen mit Behinderungen haben das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen auch. Aber wir bekommen nur ein Taschengeld. Wir sind jedoch keine Kinder. Wir verlangen ein Gehalt“, fordert Hanna Kamrat. Sie ist Vizepräsidentin der Lebenshilfe Österreich.

Hanna Kamrat

PROBLEM FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG: DIAGNOSE „ARBEITSUNFÄHIG“

Das Problem beginnt früh: Mit der Diagnose „arbeitsunfähig“. Wem eine Leistungsfähigkeit von weniger als 50% zugeschrieben wird, bekommt eine solche Diagnose. Menschen mit Behinderungen passiert das häufiger. Grundlage sind rein medizinische Kriterien. Ob jemand im Alltag viel oder wenig Unterstützung erhält, wird nicht berücksichtigt. Selbst, wenn also ein Arbeitswunsch besteht und das soziale Umfeld ihn dabei unterstützt, bekommen Menschen mit Behinderung oft eine derartige Zuschreibung. Und sie wird nur sehr selten zurückgenommen.

Die Folge ist, dass nur etwa die Hälfte aller Menschen mit einer Behinderung eine Arbeit mit normalem Einkommen ausüben darf. Und selbst die haben es am Arbeitsmarkt schwerer: Denn während sich bei steigender Konjunktur die Arbeitslosenzahlen verbessern, steigt die Zahl der Jobsuchenden mit Behinderungen.

Zwischen August 2018 und August 2019 ist die Arbeitslosenzahl bei Menschen mit Behinderungen um 3,7 Prozent gestiegen.

Diese Personengruppe trifft nun auch der neue AMS-Algorithmus mit der vollen Härte. Denn wer eine Behinderung hat, wird vom AMS-Computer automatisch schlechter bewertet. Die Folge: Weniger Beratung, weniger Förderung – weniger Aussicht auf einen Job.

WER KANN VON 150 EURO TASCHENGELD IM MONAT LEBEN?

In Werkstätten arbeiten Menschen mit Behinderung – bekommen aber nur ein Taschengeld.

In Österreich arbeiten 23.500 Menschen mit Behinderung in Werkstätten und Tageseinrichtungen. Sie gehören zum geschützten Arbeitsmarkt. Dort gelten die Tätigkeiten nicht als normale Erwerbsarbeit, sondern als therapeutische Maßnahmen. Obwohl die Menschen Holz- und Metall verarbeiten, in Shops arbeiten oder Aufträge von Unternehmen abarbeiten.

Das bedeutet: Die Menschen, die dort arbeiten, erhalten nur ein Taschengeld, keinen Lohn. Dieses Taschengeld ist sehr niedrig angesetzt: Je nach Bundesland beläuft es sich auf 60 bis 150 Euro monatlich. Davon kann niemand leben.

Dabei werden in geschützten Werkstätten Dinge produziert oder wichtige Vorarbeit geleistet, also Wert geschaffen: Da werden etwa Vorhänge für eine große Möbelfirma genäht oder Designermäntel kunstvoll bestickt.

KEINE EIGENE PENSION IM ALTER

Diese Schlechter-Stellung hat auch negative Folgen für das Leben im Alter. Denn „arbeitsunfähige“ Menschen mit Behinderung haben keinen Anspruch auf eine eigene Pension. Denn sie waren während ihrer Tätigkeiten nicht versichert. Von ihrem Taschengeld können sie sich nichts ansparen. Eltern, die sie mitversorgen könnten, gibt es dann in der Regel auch keine mehr.

Man lässt diese Menschen Jahrzehnte in Abhängigkeit – und im Alter sind sie plötzlich auf sich allein gestellt.

Damit sich das ändert, fordern InteressensvertreterInnen:

  • eine neue Form der Begutachtung und Einschätzung von behinderten Menschen
  • Gleichstellung bei der Arbeits- und Sozialversicherung
  • ein Ende der 50%igen Leistungsfähigkeits-Grenze

Quelle: kontrast.at