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Art brut: Zehn Kunstschaffende mit Beeinträchtigungen bereiten derzeit mit dem Künstler TOMAK in Linz eine Ausstellung für den Herbst vor: „Ich will ihnen Lautstärke geben“

So hat Christian Öllinger noch nie gemalt. Mit wuchtigen, roten Pinselstrichen hat der Linzer einen Lebensgroßen Drachen an die Wand des „Aktionsraums Linkz“ in Linz-Urfahr geworfen. Die Farbe trug er an manchen Stellen so dick auf, dass sich Konturen ergeben. Es wirkt, als ob der Drache Schuppen hätte. „Der Panzer soll echt wirken“, sagt der 24-Jährige. Er ist einer von zehn Künstlerinnen und Künstlern mit intellektuellen Beeinträchtigungen, die in der Ausstellungshalle von Johann Brandstetter Werke zum Thema „Die Schöpfung – vornehm unbequem“ vorbereiten. Die Bilder werden im Herbst im Aktionsraum gezeigt. Alle arbeiten in der Kunstwerkstatt des Diakoniewerks in Gallneukirchen. TOMAK, Künstler aus Wien, leitet die Aktion. Christian Öllinger widmet sich nun dem Schwanz seines Monsters. Mit schnellen Schwüngen malt er Schuppen und Borsten, dann geht er mit Weiß noch einmal über die rote Farbe. „Das ist gut“, muntert ihn TOMAK auf, Warum sind genau diese Striche gut? „Er bricht seinen eigenen Duktus“, sagt der Künstler. „Das macht eine Arbeit interessant.“

„Hochkünstlerische Arbeiten“

Aufgrund der strengen Corona Regeln können nicht alle zehn Künstler gleichzeitig im Aktionsraum arbeiten, sondern tageweise jeweils zwei bis drei. TOMAK hat zu Beginn alle Wände der Halle mit weißem Papier überzogen. Darauf sind – typisch für seine Arbeitsweise, die sich gerne auf die Naturwissenschaft bezieht – Ausschnitte aus der menschlichen Anatomie gedruckt, ein Herz, eine Wirbelsäule oder die Darmwindungen. „Und das schöpfen wir jetzt um“, sagt TOMAK mit Hinweis auf das Ausstellungsthema. „Es gefällt mir, wie respektlos sie damit umgehen.“ Denn die meisten der vorgefertigten Siebdrucke sind gar nicht mehr zu erkennen. „Man kann nur Künstler sein, wenn man den Respekt vor einer Sache verliert und sein Eigenes daraus macht.“ Sein Ziel: „Ich will, dass diese Menschen als Künstler wahrgenommen werden. Ich will ihnen Lautstärke geben.“ Ihre Arbeiten seien „kochkünstlerisch“: „Sie ermöglichen eine neue Wahrnehmung. Genau das macht Kunst aus.“ Experten bezeichnen diese Form der Kunst als „Art brut“. Am Nebentisch sitzt Herwig Hack. Er hat neben ein Herz zwei Zeichnungen gesetzt. Eine zeigt eine Frau, mit feinem Stift schraffiert er ihren Rock. Macht’s Spaß? „Ja, schon. Aber die Ernsthaftigkeit ist auch wichtig“, sagt er und malt weiter. Er lerne hier viel, sagt TOMAK: „Allein wie Herwig den Stift fahren lässt. Wunderbar.“ Bis vor kurzem hat Christian Öllinger auch so gemalt: akribisch ausgefeilt, ornamental, kräftig bunt, oft wundersame Figuren oder Fahrräder. Hier, im Aktionsraum, ist das anders. „Genau das ist eines unserer Ziele“, sagt Arno Wilthan, Mitarbeiter in der Kunstwerkstatt. „Wir wollen den Künstlern ermöglichen, aus dem Alltag auszubrechen und neue Erfahrungen zu machen.“ Für Christian Öllinger ein Schritt in eine neue Welt.