Vor einem halben Jahr noch hat Susanne Sulzbacher im Gespräch mit der Presse beklagt, dass sie auf Bewerbungen um eine Stelle einer Anwaltskanzlei nicht einmal mehr Absagen bekommt. Heute ist alles anders: Susanne Sulzbacher arbeitet als Rechtsanwaltsanwärterin in einer großen Wiener Anwaltskanzlei. Die 34-jährige Niederösterreicherin ist blind und könnte die erste Rechtsanwältin ohne Sehvermögen werden.
„Es läuft wirklich gut“, sagt Clemens Trauttenberg, Partner bei Wolf Theiss. Er ist durch den Bericht der Presse auf die Juristin gestoßen. „Sie hat sensationelle Qualifikation für unseren Beruf, und ich habe das Ziel, sie zur Anwältin auszubilden“, sagt Trauttenberg. Nach nun drei Monaten in der Kanzlei hat Sulzbacher sich gut ins Team eingefügt.
Sulzbacher hat eine sichere Stellung in der Behindertenanwaltschaft aufgegeben. Die sozialarbeiterische Komponente war ihr dort zu stark, die juristische zu schwach. So hat sie sich um eine Ausbildungskanzlei bemüht, um Rechtsanwältin werden zu können. „Sie bringt aus meiner Sicht alles mit, was man für diesen Beruf braucht“, sagt Trauttenberg.
„Großes Merkvermögen“
Natürlich funktioniert einiges ein bisschen anders. Es ist zum Beispiel gar nicht so einfach, ein – für den Beruf heute unerlässliches – Smartphone zu finden, das barrierefrei und mit der Kanzlei-IT synchronisierbar ist. Überhaupt mussten die technischen Systeme erst kompatibel gemacht werden.
Vier Stunden täglich hat Sulzbacher eine persönliche Assistenz an ihrer Seite, etwa um einen ihr noch unbekannten Weg zu gehen oder handschriftliche Unterlagen vorlesen zu lassen. Was sie einmal gelesen hat, kann Sulzbacher aber besonders gut abrufen. „Sie kann sich sehr intensiv in Texte hineinvertiefen und hat ein großes Merkvermögen“, berichtet Trauttenberg. Ein großer Vorteil für die Vertretung vor Gericht: „Sie beherrscht den Akt perfekt.“
(Quelle: Die Press, Susanne Sulzbacher: Erste Blinde steuert auf Advokatur zu, Artikel vom 27.07.2015)