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In Deutschland soll mithilfe eines Bundesteilhabegesetzes die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert werden soll. Es gibt große Erwartungen an die Reform der Eingliederungshilfe. Seit dem Sommer 2014 beraten VertreterInnen des Ministeriums mit Behindertenverbänden, Sozialverbänden und den Kommunen. Mitte April tagt die Arbeitsgruppe zum letzten Mal, doch die Verbände befürchten, dass es am Ende keine Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen geben wird.

Finanzierung schwierig

Grund für die Befürchtungen sind in erster Linie die unklare Finanzierung. Im Koalitionsvertrag hatten SPD und Union angekündigt, dass die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes jährlich um fünf Milliarden Euro von der Eingliederungshilfe entlastet werden sollten. Das Kabinett entschied sich jedoch kürzlich für eine andere Vorgehensweise, aufgrund derer die Verteilung der Gelder an die Kommunen nicht mehr mit der Reform der Eingliederungshilfe verknüpft wird.

Einkommens- und Vermögensgrenzen abschaffen

Ein zentrales Anliegen der Verbände ist, dass die bestehenden Einkommens- und Vermögensgrenzen abgeschafft werden.
Derzeit dürfen Menschen mit Behinderungen, die auf staatlich finanzierte Assistenz angewiesen sind, nicht mehr als 2.600 Euro ansparen. „Das bedeutet: kein Auto, kein Urlaub, keine Altersvorsorge“, kritisiert Arnade. Sie ist die Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) in Deutschland.
Arbeitende Menschen mit Behinderungen, die 24 Stunden Assistenz benötigen, müssten demnach einen Großteil ihres Einkommens abgeben. „Der Anreiz, arbeiten zu gehen, ist dadurch nicht besonders hoch. Für viele ist es außerdem demütigend, sich dauernd vor dem Sozialamt nackt ausziehen zu müssen“, kritisiert Arnade.
Die strikten Grenzen führten dazu, dass es sich für Eltern von behinderten Kindern nicht lohne, eine Lebensversicherung für ihre Kinder abzuschließen, erklärt die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Ulla Schmidt. „Denn diese wird später angerechnet“, sagt die frühere Sozialministerin, die für die SPD im Bundestag sitzt.
Auch der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Behindertenverbands ABiD, Ilja Seifert, fordert eine Abkehr von den Bedürftigkeitsprüfungen. „Es ist entwürdigend, wenn beispielsweise einer körperbehinderten Amtsrichterin nur der doppelte Sozialhilfesatz bleibt, obwohl sie das gleiche Gehalt wie ihre Kollegen erhält“, kritisiert Seifert mit Verweis auf einen konkreten Fall. Wenn jemand sein Arbeitsleben nur mit Assistenz führen könne, müsse das auch möglich sein, ohne dass sein Einkommen „versozialstaatlicht“ werde.

Koalition will keine neue Ausgabendynamik

Wenn man Einkommen und Vermögen freistellen würde, kostet das Schätzungen zufolge 240 bis 580 Millionen Euro. Arnade findet das für Deutschland verkraftbar. VertreterInnen der Koalition verweisen jedoch auf einen Abschnitt im Koalitionsvertrag. In diesem steht, durch die Reform dürfe „keine neue Ausgabendynamik“ entstehen.

Arbeit an Verbesserungen, denn 2016 soll das Gesetz verabschiedet werden

Die SozialpolitikerInnen setzen sich dennoch dafür ein, dass sich etwas bewegt. „Seit 15 Jahren wurde an den Einkommens- und Vermögensgrenzen nichts verändert. Hier müssen und werden wir nachbessern“, kündigt der CDU-Politiker Uwe Schummer an. Auch Paare, bei denen einer auf Assistenz angewiesen sei, sollten sich nicht länger die Frage stellen müssen: „Können wir es uns leisten zu heiraten?“, sagt der behindertenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Nach geltender Rechtslage werden auch Einkommen und Vermögen des Partners herangezogen.
Noch in diesem Jahr will das Sozialministerium Eckpunkte für das Gesetz vorlegen, das 2016 verabschiedet werden soll.
(Quelle: Tagesspiegel.de)