Das Institut für Menschenrechte nimmt als Monitoringstelle eine zentrale Rolle bei der Staatenprüfung ein und meldet sich mit einem Parallelbericht zu Wort.
In einer Zusammenfassung stellt die Monitoringstelle fest, dass nach dem Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2009 eine gewisse Dynamik zugunsten ihrer Umsetzung zu verzeichnen ist, Deutschland jedoch weit hinter seinen Möglichkeiten zurück geblieben ist und die geplanten Umsetzungsschritte bisher nur ungenügend in den Lebenswelten von Menschen mit Behinderungen angekommen sind.
"Kritsch festzuhalten ist …, dass … der Paradigmenwechsel in der Politik hin zu mehr Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe an vielen Stellen bislang ausgeblieben ist. Der damit verbundene echte Strukturwandel steht noch aus."
Ausgewählte Empfehlungen
Gesetzliche Definition
Die gesetzliche Definition von Behinderung soll im deutschen
Recht neu definiert werden. Das menschenrechtliche Verständnis von Behinderungen soll "bei allen rechtspolitischen Vorhaben, die in Zusammenhang mit den von der UN-BRK erfassten Gruppen stehen, zu Grunde gelegt werden und so mittelfristig zu einer Harmonisierung von Recht und Praxis beitragen."
Diskriminierungsschutz
Der Diskriminierungsschutz soll zu einem umfassenden querschnittsbezogenen Recht entwickelt werden. Es soll angemessene Vorkehrungen geben, damit Diskrimierung ein einklagbares Recht ist.
Gewaltschutz
Aktuelle Daten zeigen für Deutschland, dass Frauen mit Behinderungen häufiger von körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt betroffen sind als Menschen
beziehungsweise Frauen ohne Behinderungen. Es gilt dagegen Vorkehrungen zu treffen.
Rechte intersexueller Kinder
In Deutschland leben ungefähr 80.000 bis 120.000 intersexuelle Menschen. Jedes Jahr werden rund 150 bis 340 Menschen mit einem nicht eindeutig weiblichen oder männlichen Geschlecht geboren.
Nach wie vor dürfen Eltern oder die gesetzlichen Vertretungen unter Berücksichtigung des „Kindeswohls“ darüber entscheiden, ob ihr Kind einer operativen Geschlechtszuordnung unterzogen werden soll.
Studien und Umfragen belegen, dass diese höchst umstrittene Praxis der geschlechtszuordnenden chirurgischen Eingriffe und Behandlungen an intersexuellen Kindern ohne deren Einwilligung und meistens vor Erreichen des Schulalters existiert.
Die Monitoringstelle empfiehlt, dass diese chirurgische Praxis geändert wird. Nicht lebensrettende Geschlechtszuordnungen, die auch nicht rückgängig gemacht werden können, sollen im Kindesalter nicht stattfinden.
Rechte von Menschen in psychiatrischer Versorgung
"Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung sind noch weit verbreitet. In akuten psychosozialen Krisen wird bei Menschen mit seelischen, geistigen oder kognitiven Beeinträchtigungen in der Regel mittels des psychiatrischen Diagnosespektrums der Wille der Person zur Seite geschoben."
Die Monitoringstelle kritisiert, dass man bis dato nicht erkennt, "dass das System der psychiatrischen Versorgung vor großen Herausforderungen steht", denn bisher wird dem Ausbau von Stellen mehr Bedeutung geschenkt als den persönlichen Rechten betroffener Menschen. Die Monitoringstelle empfiehlt dringend, dass der Bereich der psychiatrischen Versorgung weiterentwickelt wird.
Deinstitutionalisierung
In Deutschland gibt es ein sehr differenziertes Angebot von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, nicht nur im Bereich Wohnen. Aufgrund mangelnder Alternativen zu stationären Wohnformen und aufgrund verschiedener Hindernisse in Bezug auf die Infrastruktur (barrierefreie Wohnungen, Mobilität und ähnliches) "haben Menschen mit Behinderungen nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich für ein Leben in der Gemeinschaft zu entscheiden und die volle Einbeziehung und Teilhabe an der Gemeinschaft zu suchen."
Insgesamt erklärt die Monitoringstelle, dass die Zielrichtung zur Umsetzung der Deinistutionalisierung bisher nicht entwickelt ist und empfiehlt dies rasch zu ändern.
Wahlrecht
Bisher sind zwei Gruppen von Menschen mit Behinderungen per Gesetz ausgeschlossen zu wählen (aktives Wahlrecht) oder gewählt zu werden (passives Wahlrecht).
Betroffen sind "Personen, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet wurde: stark körperbehinderte Menschen mit zusätzlichen geistigen Behinderungen, demente oder komatöse Menschen, Menschen mit schweren Schä
del-Hirn-Verletzungen und Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen".
Diese Regelung schließt schätzungsweise "einen Personenkreis in einer
fünfstelligen Größenordnung" vom Wahlrecht aus.
Betroffen sind auch "Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen, die sich aufgrund einer strafgerichtlichen Anordnung im Maßregelvollzug befinden, also eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und deswegen dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind". Davon sind mindestens 6.500 Personen betroffen.
Die Monitoringstelle empfiehlt das Wahlrecht auf alle Menschen mit Behinderungen auszuweiten. Alle Regelungen, aufgrund derere Menschen mit Behinderungen vom
Wahlrecht ausgeschlossen werden, sollen aufgehoben werden.
Aktionspläne
Die deutsche Bundesregierung hat mit 15. Juni 2011 einen Nationalen Aktion
splan zur Umsetzung der UN-Konvention verabschiedet. Der Nationale Aktionsplan ist auf einen Zeitrahmen von 10 Jahren ausgelegt.
Weitere 12 von 16 Ländern haben Aktionspläne veröffentlicht. Die weiteren Länder bereiten derzeit Aktionspläne vor. "Die Pläne unterscheiden sich in ihrem Konzept und in ihrer inhaltlichen Ausrichtung."
"Alle Aktionspläne – sowohl im Bund als auch in den Ländern – lassen für die Umsetzung eine kohärente Menschenrechtsperspektive vermissen."
Die Monitoringstelle empfiehlt dem Fachausschuss der Vereinten Nationen, dass die nationalen Aktionsplänge dahingehend überprüft werden, wie weit sie die UN-Konvention einhalten.
Mit diesen und vielen weiteren Empfehlungen zeigt die Monitoringstelle, dass trotz positiver Entwicklungen in Deutschland noch vieles anzugleichen ist, um die Vereinbarungen der UN-Konvention voll zu erfüllen.
(Quelle: Institut für Menschenrechte – Parallelbericht an den UN-Fachausschuss für
die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Berlin 2015)
(von KI-I)