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Mein Name ist Antonia Kirchmayr. Ich bin 30 Jahre alt und seit Geburt  spastisch gelähmt. Ich lebe seit 3 Jahren in einer vollbetreuten Wohnform der Volkshilfe LebensArt GmbH.
Ein Betreuer meiner Wohneinrichtung sollte im Rahmen seiner Ausbildung ein Interview zum Thema Empowerment schreiben und ohne lange zu überlegen, war ich für ihn die Auserwählte. Das Interview gab mir die Gelegenheit, meine Lebenssituation auf eine humorvolle Art zu schildern. Ich nahm mir dabei ganz bewusst vor, mir kein Blatt vor den Mund nehmen. Mein Ziel ist es,  anderen Menschen mit Beeinträchtigungen Mut zu machen und sie zu stärken.
Wir veröffentlichen hier eine leicht gekürzte Fassung des Interviews mit Antonia Kirchmayr. Das Interview ist in der Du-Form geschrieben, da Frau Kirchmayr und ihr Betreuer aus der Wohneinrichtung sich sehr gut kennen.

Was bedeutet für dich Empowerment?

Für mich bedeutet das im Rahmen der Möglichkeiten, selbst mein Leben bestreiten. Mit allem, was dazu gehört.

Und in der Arbeit?

Da hat es eine ähnliche Bedeutung. Für mich heißt es selbst bestimmen zu können, was für mich wichtig ist. Nur ich weiß, was für mich das Beste ist. Kein anderer kann in mich hineinschauen. Die Leute können mich fragen, aber nur ich weiß, was ich wirklich will und wie ich es haben möchte.

Welche speziellen Fähigkeiten brauchst du, um dein Leben gut zu bewältigen?

Ich muss klar im Kopf sein und sagen können, was ich will und wie ich es genau haben möchte. Ich muss zielstrebig sein. Ich muss ein klares Ziel verfolgen.
Der Körper lässt mich ja im Stich und die Betreuungspersonen im vollbetreuten Wohnen sind praktisch meine Hände und meine Füße. Und ich bin der Kopf, wenn man’s ganz arg sagt, meint Antonia Kirchmayr und dann lacht sie.
Ich muss selbstverantwortlich sein. Wenn ich einen Scheiß sage, muss ich auch dafür gerade stehen. Eigenverantwortung eben und Autonomie.

Gibt es Fähigkeiten, die du gerade wegen deiner Beeinträchtigung entwickelt hast?

Ja, ich bin selbstreflektierend und weiß, was ich will. Meistens. Immer geht es nicht, aber ich bin sehr zielstrebig. War ich schon immer, weil ich so meinem Geist ein Schnippchen schlagen wollte. Mein Geist ist hell. Ihr braucht mich nicht auf meinen Körper zu reduzieren.
Auch in dem Krankenhaus, wo ich vor kurzem war, haben sie ständig gesagt, dass ich ein selbstbestimmter und ein bemerkenswerter Mensch bin. Sie waren beeindruckt von meinem medizinischen Rundumwissen. Das baut mich auf, denn in den meisten Krankenhäusern werde ich immer wie ein Baby behandelt. In einem Krankenhaus haben sie beim Röntgen zu mir gesagt: „Jetzt machen wir ein Foto von dir.“ Das hat mich sehr geärgert. Ich wäre ihnen am liebsten an die Gurgel gesprungen.
Das ging körperlich aber nicht.
In solchen Momenten bin ich selbst so überrascht, dass mir keine Antwort einfällt. Hätte ich immer ein Diktiergerät mit und würde mir das aufschreiben, dann könnte man schon Bücher damit füllen.

Um welche Fähigkeiten beneiden dich andere?

Mich beneiden andere zum Beispiel darum, dass ich so ehrgeizig bin. In der Schule haben andere Schüler immer so getan, als bekäme ich alles gemacht und müsste selbst nichts machen. Sie waren recht neidisch auf meine Noten. In einer anderen Klasse war es sehr schlimm. Die Schüler haben geglaubt, dass die Schulbegleiterin mir alles aufschreibt. Ich bräuchte nichts zu machen. Sie haben sogar die Frechheit besessen der Schulleiterin zu sagen, sie wollen einmal dabei sein, wenn ich eine Schularbeit im Extrakammerl schreibe. Die Schüler glaubten nicht, dass geistig alles von mir kam. Das hat mich sehr verletzt.
Glücklicherweise waren die Lehrkräfte geistesgegenwärtig und haben mich im Unterricht im Klassenzimmer in extra Betreuung genommen, weil sie bemerkt haben, dass ich was auf dem Kasten habe und ich mich bei Schularbeiten nicht im Extrakammerl zu verstecken brauche.

Und um welche Fähigkeiten bewundern dich andere?

Das ich zielstrebig bin und genau weiß, was ich will, dass ich mit meiner Beeinträchtigung und meiner körperlichen Verfassung auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeite. Das hätte sich keiner von mir gedacht.
Antonia Kirchmayr ist seit der Geburt spastisch gelähmt und wird als Menschen mit Lernschwierigkeiten bezeichnet. Da hält sie aber keineswegs von ihrer Zielstrebigkeit ab.

Wie bedeutsam ist deine Arbeit für dich? Wie wichtig ist sie dir?

Mir ist meine Arbeit sehr wichtig, weil ich damit andere Leute bestärken will, dass sie auch ihre Meinung sagen können und, dass sie auch gehört werden können.
Genau die Leute, die wir in der Arbeit befragen, sind ja Menschen mit Lernschwierigkeiten, die jahrelang in Werkstätten und Wohnungen ganz oft versumpfen und die trauen sich … oft gar keine eigene Meinung haben. Deswegen sage ich eingangs immer: Es ist wichtig, dass DU DEINE Meinung sagst und immer kommt: „Erfährt das eh kein Betreuer?“ Oder „Ist der eh nicht böse, wenn ich das sage?“ Oder „Darf ich das überhaupt?“
Viele, die wir befragen, sind völlig eingeschüchtert und das Eis versuchen wir zu brechen, indem wir Befrager eben auch Menschen mit Beeinträchtigungen sind. Deswegen gehen Menschen mit Lernschwierigkeiten eher auf mich zu als wenn jemand anderer kommt, der schön angezogen ist, keine Beeinträchtigung hat und ganz anders spricht.

Das klingt so, als ob du beruflich mit zwei Arten von Empowerment zu tun hast. Einerseits befähigt deine Arbeit dich als Mensch. Du fühlst dich stark und lernst neue Sachen. Andererseits befähigst du andere durch das, was du da tust.

Ich wollte das schon immer: Leute stärken, die in derselben Situation sind wie ich.
Ich wollte das schon als es diesen Beruf als Qualitätsevaluatorin noch nicht gegeben hat. Das wusste ich schon mit 13 oder 14 Jahren.

Wie kommst du mit den Anforderungen zurecht, die du in der Arbeit erlebst?

Bei mir ist mein Körper ein Thema. Die Leute im Team achten sehr darauf, dass ich meine Pausen einhalte. Die Pausen brauche ich, damit ich mich halbwegs regeneriere. Die Leute in der Arbeit müssen mich sogar oft zu Pausen zwingen, weil mir mein Geist oft was anderes sagt als mein Körper. Der Körper kommt nicht nach und ich schaffe es oft nicht auf meinen Körper zu hören. Ich habe oft das Gefühl, als ob ich den Superman-Umhang in der Arbeit anziehe. Da will ich 120 Prozent geben, auch wenn ich in der Früh schon meinen Ketamin-Spray brauche.
Ein Ketamin-Spray ist übrigens ein sehr starkes Schmerzmittel, das man nicht mal mehr in der Apotheke erhält.
Ich nehme das in Kauf, auch wenn ich bei der Fahrt in die Arbeit schon einschlafe. Kaum bin ich in der Arbeit, legt sich für mich aber ein Schalter um. Ich bin Superman und um 11:30 Uhr streife ich den Umhang ab. Dann klappe ich manchmal zusammen. So ist das bei mir.
Aber auch, wenn ich nach Hause komme, will ich keine Schwäche zeigen. Da kann ich völlig down sein.

Passen die beruflichen Anforderungen für dich?

Inzwischen arbeite ich nur mehr 12 Stunden, weil ich schon länger zu viel mache, auch wenn ich es mir nicht immer eingestehe. Das ist jetzt eine Ausnahmesituation in meinem Leben. Wenn ich aber weniger arbeite, zahlt es sich für mich nicht aus, weil ich ja auch für die Fahrt in die Arbeit und nach Hause ganz lange brauche. Das ist oft ein Zwiespalt, auch wenn ich gern arbeite.
Insgesamt aber passt die Arbeit für mich voll und ganz. Leute wie ich haben eine Meinung und müssen für sich kämpfen und sollen sich nicht unterbuttern lassen, nur weil sie vielleicht schief im Rollstuhl hängen, spucken oder schlecht reden können.
Manchmal denk ich mir, dass auf meiner Stirn „Ich bin nicht blöd“ stehen müsste. Viele Leute gehen wieder mal nur vom ersten Eindruck aus und nehmen sich nicht die Zeit sich mit dem Menschen auseinanderzusetzen. Das finde ich schade.
Ich bin nicht arm. Ich bin nur beeinträchtigt.

Fazit

Wir danken Antonia Kirchmayr und ihrem Interviewer, dass sie uns ihr Gespräch zur Verfügung gestellt haben und, dass wir es veröffentlichen dürfen.
Antonia Kirchmayr zeigt, dass Stärke im Kopf beginnt und noch lange nicht bei der Beeinträchtigung endet.
(von KI-I)