Ein kleiner Abriss über meinen Alltag mit Assistenz
Ich bin 28 Jahre alt und seit Beginn meines Lebens Rollstuhlfahrerin. Seit 2004 hat mein Leben zusätzlichen Schwung erhalten durch meine Persönlichen Assistentinnen.
Ich entdeckte Assistenz zunächst mit Beginn meines Studiums als Begleitung auf die Uni. Auch wenn ich Assistenz damals hauptsächlich als Unterstützung und Begleitung während meiner Ausbildung nutzte, begann sich mein Leben Schritt für Schritt zu verändern. Statt auf dem Hin- und Heimweg von der Uni in einem Fahrtendienstbus zu sitzen und passiv hin und her gekarrt zu werden, konnte ich jetzt Tempo, Zeitpunkt und Art der Heimfahrt selbst bestimmen. Ich konnte die Welt auf eigene Faust erkunden, konnte unpünktlich sein, konnte Dinge unternehmen, ohne zu warten, bis jemand aus meiner Familie Zeit hat. Denn bald danach nutzte ich die Assistenz auch in der Freizeit.
Heute lebe ich in meiner eigenen Wohnung und meistere den Alltag weitgehend alleine, was in meinem Fall heißt ohne Unterstützung durch meine Eltern, denn meine Assistentinnen sind meine Hände und Füße. Ich bin der Kopf, der alles koordiniert und plant.
That’s my life!
Früher musste ich nicht viel tun und auch nicht viel mitdenken. Mein Zimmer war sauber, meine Wäsche gewaschen und der Kühlschrank voll. Jetzt habe ich das Ruder in der Hand, was manchmal heißt, dass die Wohnung nicht ganz so blitzsauber ist, weil ich Staubwischen jeden Tag unnötig finde, oder dass hin und wieder das eine oder andere Ablaufdatum übersehen wird. But that’s life! Oder besser gesagt: That’s my life!
Mein Horizont hat sich auf jeden Fall erweitert. Ich unternehme mehr, mein Sparschwein ist schlanker geworden, da ich mehr Geld ausgebe. Aber es gibt auch Aspekte, die anfangs nicht ganz so leicht waren, als ich im Dezember 2012 mein ganzes Leben auf PA-Modus umgestellt habe. Die neue Devise hieß ab diesem Zeitpunkt: „Zu mehrt allein sein.“ Mit anfangs fremden Menschen den Alltag verbringen, von Aus-dem-Bett-Heben und Duschen bis zum Zu-Bett-Gehen – mehr oder weniger alles gemeinsam machen, das heißt, sich im wahrsten Sinne des Wortes „hautnah“ zu kommen.
Vertrauen
Das verlangt eine ordentliche Portion Vertrauen von beiden Seiten und es bedeutet auch Freiräume zu schaffen, damit man nicht ständig beieinander hockt.
Anfangs hatte ich Angst. Zum Beispiel: Muss ich mir meinen kleinen Wutausbruch über meinen immer mal wieder unkooperativen Computer verkneifen? Kurz: Kann ich noch die sein, die ich bin, wenn mir jemand über die Schulter schauen könnte? Heute, da die erste Testphase vorbei ist, kann ich sagen: Ja! Ich kann die bleiben, die ich bin.
Ich habe fünf bis sechs Assistentinnen, die mich unter der Woche im Alltag unterstützen. Wir kommen gut miteinander aus, die Assistentinnen haben ihren kleinen Rückzugsort in der Küche und ich behalte weitestgehend meine Privatsphäre. Doch es sind die Dinge, die man gemeinsam erlebt, die dem Alltag die kleine Portion Abenteuer verleihen, die es braucht, damit es kein grauer Alltag wird. Ich erinnere mich an eine Tagung, wo ein Teilnehmer meine Assistentin scherzhaft als Pferdestärke bezeichnete und ich entgegnete „Nein, es ist Menschenstärke.“
Ich erinnere mich an die kleinen und großen Hürden des Alltags, die wir gemeinsam überwunden haben, an zu hohe Gehsteigkanten, hohe Toilettensitze, an ein Treppenhaus ohne Aufzug und an all das, was eben nicht barrierefrei ist. Diese Dinge lassen einen mit den Assistentinnen zusammenwachsen und sich einander näherkommen.
Nähe & Distanz
Das Thema Nähe & Distanz ist immer wieder ein Thema zwischen mir und KollegInnen, die ebenfalls AssistentInnen im Alltag nutzen. Wie viel emotionale Nähe darf man zulassen in einer Arbeitgeber-Angestellten-Beziehung, wo eine gewisse Nähe zum Tätigkeitsfeld gehört? Jeder hat eine andere Meinung dazu. Ich kann nur sagen, wie es für mich ist. Natürlich entwickelt man für eine Person, mit der man viel zusammen und zwangsläufig sehr nahe zusammen ist, auch Gefühle. Ohne dass man sich sympathisch ist, würde die Assistenz-Kunden Beziehung ja von Haus aus nicht funktionieren. Doch allzu große emotionale Nähe versuche ich trotzdem zu vermeiden. Das klingt jetzt zwar hart, aber trotz all der Nähe ist es ja nach wie vor ein Arbeitsverhältnis. Natürlich sollte man die AssistentInnen gern haben, aber sich zu tief in Gefühle zu verstricken, ist meiner Meinung nach nicht gut, denn dann ist es für beide schwierig, die Grenze zwischen Arbeitsverhältnis und Freundschaft zu ziehen. Es wäre für mich schlimm, wenn neben der körperlichen Abhängigkeit von Assistentinnen auch noch eine emotionale dazukäme.
Das heißt nicht, dass es mir nicht sehr nahe geht, wenn langjährige Assistentinnen, mit denen man sich immer gut verstanden hat, mit denen man einen gemeinsamen Rhythmus entwickelt hat und einen Großteil des Alltags geteilt hat, gehen. Das Abschiednehmen und das Willkommenheißen von Menschen ist eben auch ein immer wiederkehrender Teil vom Leben mit Assistenz. Man muss sich immer wieder auf neue Leute einstellen, die man an sich ranlässt. Das ist interessant, beängstigend und lustig zugleich.
Abenteuer
Es ist immer wieder ein eigenes kleines Abenteuer, wenn man sich auf der Suche nach einem passenden Teammitglied durch eine große Anzahl von Bewerbungen, mit der einen oder anderen Kuriosität darunter, wühlen muss, wenn man quasi eine Art Marathon absolviert, bei dem man über Wochen hinweg immer wieder neue Menschen kennenlernt, immer wieder dieselben Handgriffe erklärt und zeigt – und schließlich die Endphase, wo man sich füreinander entscheidet und man wieder neu zusammenwachsen muss. Meine Assistentinnen sind wie Pferdestärken, die ich brauche, um weiter in Richtung Selbstständigkeit fahren zu können, aber besser gefällt mir eigentlich der Ausdruck Menschenstärken. Denn es sind starke Menschen, die es braucht, um das Leben mit Assistenz zu meistern.
(von Katharina Müllebner in BEHINDERTE MENSCHEN 3 / 2013)