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"Veränderung als Chance" – dieser Satz wird oft zitiert, um Lebenskrisen einen positiven Touch zu geben. Für Menschen mit Autismus sind Veränderungen wie Erdbeben, die ihr – nach fixen Regeln konstruiertes Leben – komplett durcheinanderwürfeln. Tanja Gorsche ist Mutter von Silvio (7), ein Asperger-Autist, und den Zwillingen Collin und Nico (4), beide frühkindliche Autisten.
In einem Punkt sind sich die drei Gorsche Jungs einig: Veränderungen machen Angst.
Zum Weltautismustag am 2. April erzählt Tanja Gorsche, gemeinsam mit den Psychologinnen Katharina Wagenhofer und Sylvia Arrer vom Ambulatorium der Mosaik GmbH, über das Phänomen Autismus und ihren Umgang damit im Alltag.
Tanja Gorsche ist eine bewundernswerte junge Frau. Mit viel Energie und Optimismus stemmt die Alleinerzieherin ihr Leben mit drei autistischen Kindern. Bereits bei ihrem ersten Sohn Silvio hatte die Südsteirerin früh den Eindruck, dass er sich anders entwickelt als Gleichaltrige. "Mit etwa drei Jahren zeigte er erste stereotype Verhaltensweisen. So hat er zum Beispiel begonnen ständig im Raum hin- und herzulaufen. Wenn ich ihn gerufen habe, hat er überhaupt nicht reagiert. Als er kurz darauf in den Kindergarten kam, zeigte er auch dort keine Reaktion, wenn man ihn ansprach. Leider wurde das zu Beginn als ungezogenes Verhalten missinterpretiert. Nach vielen Untersuchungen erhärtete sich schließlich der Verdacht, dass Silvio Autismus hat," erzählt Tanja Gorsche.

Da waren`s plötzlich drei

Ein paar Monate später kamen die eineiigen Zwillinge Collin und Nico zur Welt. "Viele Leute haben mich damals um meine ruhigen und stillen Kinder beneidet. Doch wieder hatte ich das Gefühl, dass sich auch die beiden kleinen Jungs anders entwickeln als sie sollten," schildert die dreifache Mutter. Als Silvio zu weiteren Untersuchungen auf der Grazer Kinderklinik war, ließ sie die Zwillinge ebenfalls in Richtung Autismus untersuchen. Ihr mütterlicher Instinkt wurde schließlich bestätigt: Silvio wurde mit Asperger Autismus diagnostiziert, Collin und Nico beide mit frühkindlichem Autismus.
Frühkindlicher Autismus geht meist mit verzögerter Entwicklung, kognitiver Beeinträchtigung und teilweise fehlender Sprache einher. So gab es bei den Zwillingen kurz eine Phase, in der sie sprachliche Fortschritte machten; mittlerweile ist jedoch keine Sprache mehr vorhanden. Auch wesentliche kindliche Entwicklungsschritte wie Rein Werden oder das Essen von fester Nahrung ist bei Collin und Nico, trotz ihrer gut vier Jahre, noch nicht erfolgt.

Erfahrungen aufholen durch Therapie

Seit etwa drei Jahren bekommen Silvio, Collin und Nico eine autismusspezifische Therapie im Mosaik Ambulatorium, wo aktuell etwa 35 Menschen mit dieser Diagnose betreut werden. Die Therapie ist geprägt von Routinen und Ritualen, damit ein Lernprozess möglich wird. "Eine Therapieeinheit läuft für Collin und Nico immer gleich ab. Wir sitzen jedesmal auf denselben Sesseln und beginnen immer mit dem gleichen Spiel, das gibt den Jungs Sicherheit. Derzeit arbeiten wir mit Lernspielen, bei denen die Kinder verschiedene Dinge zuordnen und am Blickkontakt der Zwillinge. Kinder mit normaler Entwicklung imitieren ihre Eltern und spielen frei und kreativ. Kinder mit frühkindlichem Autismus können das aufgrund ihrer Wahrnehmungsstörung nicht von selber. Darum versuchen wir in der Therapie gezielt diese Erfahrungen aufzuholen," erklärt Katharina Wagenhofer, die Psychologin der Zwillinge.
Im Gegensatz zu frühkindlichen Autisten zeigen Menschen mit Asperger-Autismus oft ungewöhnlich starke Spezialinteressen, die aber kaum für den Aufbau von sozialen Kontakten genutzt werden. "Asperger Autisten können über längere Phasen völlig unauffällig wirken. Viele entwickeln Spezialtalente und sind sehr intelligent. Das macht es für sie auch vielfach möglich, ihre Schwierigkeiten im Sozialverhalten zu kompensieren. Ähnlich dem Vokabellernen wählen sie situationsbezogen aus einem fixen Pool an `möglichen Reaktionen` aus, auch wenn sie es zwischenmenschlich nicht nachvollziehen können," versucht Psychologin Sylvia Arrer die vielen Facetten des Asperger Autismus zusammenzufassen.

Keine "Modediagnose"

Autismus ist keine "Modediagnose"; bereits seit den 1940er Jahren wird daran geforscht. Das autistische Spektrum kann vererbt werden. 90 Prozent der Autisten sind männlich. "In früheren Jahren wurde Autismus nicht so häufig `namentlich` diagnostiziert. Oft lief frühkindlicher Autismus generell unter dem Schlagwort Behinderung. Viele Asperger Autisten dürften sich hinter Bezeichnungen wie `eigenartig` oder `pedantisch` verbergen und relativ unauffällig in die Gesellschaft eingegliedert sein," mutmaßt Katharina Wagenhofer.
Selbst wenn sich durch ihre eingeschränkte Mimik nur schwer in ihren Gesichtern lesen lässt, ist Tanja Gorsche überzeugt, dass sich ihre Kinder bei Mosaik sehr wohl fühlen. "Ich werde häufig gefragt wie ich das alles schaffe. Meine Kinder geben mir viel Kraft und es kommt viel Positives von ihnen zurück. Besonders wichtig ist mir, dass die Gesellschaft Menschen mit Autismus nicht ablehnend behandelt. Sie leben zwar in ihrer eigenen Welt, doch deswegen sind sie keine bösen, schlechten oder ungezogenen Menschen," plädiert Tanja Gorsche abschließend für mehr Verständnis.
(von Mosaik GmbH)