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In Großbritannien sorgt eine komödiantische Innovation für Wirbel. Lee Ridley alias „Lost Voice Guy“ kommuniziert mit Sprachgerät und bringt die Leute trotzdem oder gerade deswegen zum Lachen. Ein Besuch in London und eine Reise in die Tiefen des wohl schwärzesten Humors der Szene.
"Ich hatte einen stressigen Tag", bittet der Mann auf dem Podium mit seiner mechanischen Stimme um Nachsicht. Ein Moment Stille, bis er sich sammelt und zur Erklärung ausholt. "Bevor ich heute aus Newcastle runter nach London gekommen bin, hatte ich ziemlich viele Termine. So wichtig habe ich mich nicht mehr gefühlt, seit meinen Eltern eröffnet wurde, ich würde ein ‚special child‘ (Anmerkung: „ein besonderes Kind“) werden." Etwa die Hälfte des Saals lacht vorsichtig. "Aber das war auch damals Stress pur. Als ich erfuhr, dass ich niemals wieder sprechen könnte, war ich erstmal sprachlos."
Es ist der Eisbrecher. Die gut 100 Zuschauer im Klub Jongleurs in Covent Garden, in der Mitte von London, schreien vor Gelächter. Indem Lee Ridley seine Behinderung auf den Punkt gebracht hat, sind dem seltsamen Witzemacher die Lacher des Publikums sicher. Um unverklemmt mit der Situation umgehen zu können, scheinen bis eben alle auf eine Anspielung auf den "Lightwriter" gewartet zu haben, der auf einem Tisch neben dem Komädianten liegt und ohne diesen er keinen einzigen seiner Witze reißen könnte.
Ridley alias "Lost Voice Guy" ist ein neuer Stern am britischen Comedy-Himmel. Seit Februar tourt er durch Großbritannien, macht Schlagzeilen in nationalen Zeitungen und erfreut sich bei seinen Auftritten gut gefüllter Säle. Ein großes Stück dieser schnellen Begeisterung liegt daran, dass Ridley selbst eine Innovation ist. Nie hat es wohl einen Komödianten gegeben, dem die Stimme – das zentrale Arbeitswerkzeug – völlig fehlt. Aus dieser Not hat Ridley eine Tugend gemacht. Ridleys Spielart ist dabei eine irgendwie nicht ungewöhnlich Facette des britischen Humors, der sich durch trockene Anspielungen immer wieder selbst belächelt, bisweilen erniedrigt.

Lachen wie auf Knopfdruck

Der Lost Voice Guy macht im Takt weiter. Er knüpft sich die politische Korrektheit seiner englischen Sprache vor. "Jetzt heißt es überall ‚special schools‘ für Behindertenschulen, ‚special needs‘ für Behinderte und ‚Special Olympics‘ für die Behindertensportmeisterschaften. Ich mache mir jetzt Sorgen, sobald ich höre, dass unsere ‚Special Forces‘ (Anmerkung: spezielle britische Militärtruppen) in den Krieg ziehen." Das Gelächter kommt jetzt wie auf Knopfdruck. Im wahren Sinn. In seinem Sprachgerät hat Ridley Sprüche eingespeichert, die er auf Tastendruck freigibt. Alles, was er während der Show noch tun kann, ist, den Knopf im richtigen Moment zu drücken und die Botschaft nicht durch unpassende Mimik oder Gestik zu unterbrechen. Kein besonders großes Repertoire für einen Komödianten.
Rund 60 Mal ist Ridley mittlerweile aufgetreten. Die Säle werden größer, die Kritik besser. "Bei meinem ersten Auftritt war ich ziemlich nervös. Woher sollst du wissen, ob die Leute, die dich nicht kennen, dich auch lustig finden?" Wie auch bei dieser Show in London hat es einige Sprüche gebraucht, bis die Atmosphäre von Betretenheit in das typisch lockere, aufgeheiterte Zuhören bei jeder typischen Comedy-Show umschlug.
Durch seine jüngsten Erfolge auf der Bühne beobachtet Ridley auch eine Änderung seines Privatlebens. "Alles ist in den letzten Monaten viel hektischer geworden. Es gibt plötzlich Interviewanfragen, ich muss meine Shows planen, das kostet alles viel Zeit." Hinzu kommt sein Job im Kommunikationsteam der Stadtverwaltung von Sunderland, den Ridley als gelernter Journalist weiterhin ausübt. Da ihm aber seine zerebrale Lähmung einige Alltagsaufgaben ohnehin mehr Zeit kosten lässt, versuche er, auch in Stresssituation ruhig zu bleiben. Auch dazu hat er einen Scherz parat: "Wenn ich unter Stress bin, denke ich mir einfach: ‚Jetzt halt die Klappe und zieh das durch!‘"

Einer, über den man spricht

Der Abend neigt sich dem Ende. Als Ridley, beinahe zum ersten Mal in ernst gemeintem Ton, das Ende seines Auftritts verkündet und sich für das Kommen und die Unterstützung bedankt, hallt es lauten Applaus. Die Treppenstufen von der Bühne steigt er herab und stapft durch das Publikum. Mit einigen alten Bekannten schüttelt er Hände, andere ihm Fremde klatscht er wie ein Superstar ab. Es war schon sein fünfter Auftritt im komödiantisch hart umkämpften London – und wohl nicht der letzte. Zuletzt lobte ihn auch die BBC: Bei dem Lachen des Publikums handle sich nicht um Mitleid, sondern um Überraschung: "Der Lost Voice Guy wird zu einem, über den man spricht."

(von Felix Lill in Zeitschrift "Behinderte Menschen" 6/2012)