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Seit 30 Jahren gibt es im Diakoniewerk Bildungs- und Freizeitarbeit für Menschen mit Beeinträchtigungen im Zentrum für Freizeit-Sport-Bildung (FRISBI). Am Dienstag, 30. Oktober lud das Diakoniewerk aus diesem Anlass in das Offene Kulturhaus in Linz zur Enquete „Sackgasse – Inklusive Bildung?“. Im Anschluß fand im Mediendeck des Offenen Kulturhauses eine Jubiläumsparty für alle statt, vor allem auch für die KundInnen von FRISBI.
Die Conclusio des Abends war: Inklusive Erwachsenenbildung ist wichtig, hat Grenzen und ist keinesfalls eine Sackgasse. Lesen Sie mehr darüber im folgenden Bericht:

Zum Hintergrund

Teilhabe bedeutet, am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilnehmen zu können. Der Aspekt der Teilhabe findet sich in mehreren Artikeln der UN-Behindertenrechtskonvention wieder. Am deutlichsten wird die Forderung nach einer inklusiven Gesellschaft im Artikel 19 – Selbstbestimmtes Leben und Teilhabe an der Gesellschaft. Menschen mit Beeinträchtigungen haben das Recht auf volle Einbeziehung in und Teilhabe an der Gesellschaft. Dies soll zum einen gewährleistet werden durch die freie Entscheidung über den Aufenthaltsort, die Wohnform und darüber, mit wem sie leben wollen. Zum anderen soll auch der Zugang zu gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sichergestellt werden. Schließlich ist auch der barrierefreie Zugang zu allen gemeindenahen Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit sicherzustellen.
Im Rahmen der Enquete kam man der Antwort auf die Frage – Ist Inklusive Bildung eine Sackgasse? – ein großes Stück näher. Mehr als 100 Gäste lauschten interessanten Impulsen zum Thema Inklusion und Bildung.
LH-Stv. Josef Ackerl, der die Enquete eröffnete, sieht es als wesentlich, Selbstbestimmung als Selbstverwirklichung leben und erleben zu lassen. „Mir ist wichtig, daß mehr Selbstverständlichkeit in unserer Gesellschaft existiert. Wir müssen davon abgehen etwas für Menschen mit Beeinträchtigungen zu bauen, wenn wir an barrierefreie Gebäude zum Beispiel denken, sondern in Wirklichkeit wollen wir, daß sie mit dabei sind und den Wege mitgehen von Anfang an.“

Inklusive Erwachsenenbildung hat Grenzen

Prof. Dr. Karl-Ernst Ackermann von der Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung in Berlin referierte zum Thema „Inklusion und barrierefreie Bildung“. Er unterstreicht, dass der Anspruch auf Inklusive Erwachsenenbildung Grenzen hat. Diese Grenzen liegen zum einen darin dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen ein großes Bedürfnis nach „Eigenkultur“ haben und dass Angebotsformate für Menschen mit mehrfacher Beeinträchtigungen wenig „nichtbehinderte“ AnhängerInnen finden. Erst zielgruppenbezogene Angebote schaffen das für Inklusion nötige Empowerment.
Trotzallem sei es wichtig, hinaus zu gehen, hinaus aus der Institution. „Dort wo aktuell Erwachsenenbildung für Menschen mit Beeinträchtigungen stattfindet gehört sie nicht hin, sie gehört in die Verantwortung des Staates und muß Teil der allgemeinen Erwachsenenbildung sein.“

Historische Entwicklung von FRISBI

Mag. Franz Gassner, Leiter von FRISBI, gab einen historischen Rückblick zur Bildungs- und Freizeitarbeit im Diakoniewerk. Begonnen hat die Bildungsarbeit des Diakoniewerks im Oktober 1981 mit einem sogenannten Sozialkreis (später AGFIB – Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderung). Gegründet hatte ihn der damalige Familienberater Eduard Trügler aus dem Therapiezentrum Linzerberg heraus.
Ziel war es zunächst Freizeitangebote vor allem für Kinder und Jugendliche zu schaffen, um deren Selbstständigkeit und den Austausch zwischen den Eltern zu fördern. Das Angebot hat sich in den folgenden Jahrzehnten immer mehr erweitert. Unter anderem kamen das integrative Café Dienstag und der Bereich Behindertensport dazu. Der Bildungsbereich wurde vor allem in den vergangenen Jahren stark ausgebaut.
Auch die Zielgruppe veränderte sich: Heute sind es vor allem Erwachsene, die die Angebote von FRISBI wahrnehmen, seit einiger Zeit auch über Gallneukirchen hinaus in anderen Regionen. Außerdem adressiert FRISBI alle Menschen mit Beeinträchtigungen als KundInnen. Viele Angebote werden inzwischen auch inklusiv für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen angeboten.
Das umfangreiche Bildungsprogramm umfasst zahlreiche Kurse, die mit renommierten, regionalen Bildungsanbietern wie z.B. Volkshochschulen gemeinsam veranstaltet werden, um die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen voranzutreiben.
Aktuell gibt es 90 Angebote und 550 TeilnehmerInnen pro Jahr, die FRISBI begleitet. FRISBI sieht sich als Inklusionsgestalter, -begleiter und als Informationsdrehscheibe.

Sollen alle Sonderstrukturen in der Bildung abgeschafft werden?

Eine Extremposition zu Teilhabe und Inklusion ist die Auffassung, dass alle Sonderstrukturen abgeschafft gehörten. Menschen mit Beeinträchtigungen würden sich demnach ihr Angebot selbst am Markt suchen, ihre Wahl treffen und dann zukaufen. Mag. Gerhard Breitenberger weist in seinem Referat in diesem Kontext auf zwei wichtige Hypothesen hin.

Inklusion ist Arbeit. Sie entsteht nicht von selbst.

Es gibt viele Barrieren, wie bauliche Barrieren, fehlende Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen, die Wichtigkeit von Leichter Sprache und auch Berührungsängste, Scham etc. Für das Gelingen und den Abbau dieser Barrieren braucht es weiterhin für längere Zeit Fachstellen, die sich in der Behindertenarbeit auskennen und auch proaktiv für barrierefreie und inklusive Bildungsangebote arbeiten, denn das Wissen um inklusive Bildung muss in den allgemeinen Bildungshäusern erst wachsen und mehr und mehr angenommen werden.
FRISBI bemüht sich deshalb, mit regionalen Bildungs- und Freizeitanbietern Angebote für die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen zu initiieren, zu gestalten und zu begleiten. „Für uns ist jedoch auch ein wichtiger Schritt, dass wir viele unserer Angebote, die wir bisher auch in unseren Einrichtungen (weil barrierefrei) veranstaltet haben, nach draußen bringen in die VHS, in die Tanzschule, etc. – in einem normalisierten, deinstitutionalisierten setting“, unterstreicht Breitenberger.

Es braucht exklusiv und inklusiv.

Inklusive Angebote sprechen alle an und orientieren sich am Durchschnitt. Bei Freizeitangeboten ist das weniger problematisch als bei Bildungsangeboten. Hier braucht es auch exklusive Bildung, die auf die Zielgruppe gut abgestimmt ist, damit Lernen ermöglicht wird.
Ein Beispiel: Ein Englischkurs auf Maturaniveau richtet sich an Personen mit Englischkenntnissen auf Maturaniveau. Ein solches Kursangebot ist exklusiv und zwar in Bezug auf die vorausgesetzten Fähigkeiten, nicht aber in Bezug auf das Vorhandensein einer Beeinträchtigung. In diesem Sinne braucht es auch exklusive Bildungsangebote.

Inklusive Bildung als Recht auf Wahlfreiheit

„Aus unserer Sicht ist das derzeitige Angebot am Bildungs- und auch Freizeitmarkt zu wenig auf Menschen mit Behinderungen zugeschnitten. Misserfolge und Einsamkeit sind die Folge der Teilnahme bei „normalen“ Veranstaltungen“, weiß Breitenberger aus Erfahrung. FRISBI versucht daher durch zugeschnittene Angebote im Freizeit- und Bildungsbereich die Möglichkeit zu schaffen, auch Peergruppen – also Gleichgesinnte und Personen mit gleichen Eigenschaften – zu treffen. Der Grund: Unter Gleichgesinnten fühlt sich jede bzw. jeder wohler. Daher: Inklusion als Recht, aber nicht als Pflicht. Die Wahlfreiheit ist wichtig.
So begleiten die MitarbeiterInnen von FRISBI zu Kulturveranstaltungen oder organisieren eine Fortbildung Kochen für Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Kursprogrammes der VHS Linz.
„Unsere Vision ist ein Bildungshaus für eine Gesellschaft“, so Breitenberger abschließend.

Inklusive Erwachsenenbildung ist keine Sackgasse

Die abschließende Diskussion über Bildung für Menschen mit Beeinträchtigungen mit Betroffenen und ExpertInnen, darunter Mag.a Renate Hackl, Leiterin der Behindertenhilfe beim Land Oberösterreich, und Mag. Hubert Hummer von der Volkshochschule Linz, zeigte, daß Inklusive Bildung definitiv keine Sackgasse sei.
Die DiskutantInnen waren sich einig, dass Inklusion ein Prozess sei, der uns über Jahre begleiten wird und wir Lernende sind auf diesem Weg.
Hackl betonte: „Inklusion ist ein weiterer Schritt nach Integration und soll Motor für uns sein, dass so manche Ausgrenzung sich endlich aufhört.“
„Im Kontext Bildung kann es auch Exklusion geben, das heißt exklusive Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen, doch wesentlich ist, dort wo Bildung für alle stattfindet“, so Dr.in Eva Oberbichler, Geschäftsführung Behindertenhilfe OÖ des Diakoniewerks.
Die mangelnde Mobilität der Betroffenen, die zum Teil notwendige Begleitung durch persönliche Assistenz und die damit verbundenen Kosten für Betroffenen, wie auch die noch nicht stattgefundene Regionalisierung von Freizeit- und Bildungsangeboten sind noch wesentliche Barrieren am Weg zu einer Inklusiven Bildung.

Inklusive Party

Im Anschluß wurde im Mediendeck des Offenen Kulturhauses in einer wahrlich Inklusiven Jubiläumsparty gefeiert und musikalisch „eingeheizt“ von Gebärdenrapper Brani aus Wien und DJ Andryx.

(von Evangelisches Diakoniewerk)