Im Land OÖ sind Änderungen zur baulichen Barrierefreiheit beim OÖ. Bautechnikgesetz 2012 und der OÖ. Bautechnikverordnung 2012 geplant. Das "Netzwerk Barrierefreies OÖ“ zeigt die folgenden geplanten Verschlechterungen im Detail auf.
Folgende Bestimmungen im Begutachtungsentwurf des Oö. Bautechnikgesetzes 2012 würden zu diskriminierenden Verschlechterungen führen, die nicht im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention, dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und dem Oö. Antidiskriminierungsgesetz stehen.
Geplante Änderungen beim Bautechnikgesetz 2012 (Oö. BauTG 2012)
Neubauten erhalten am dem vierten Geschoss einen Lift
§ 25 (3) Oö. BauTG 2012: „Beim Neubau eines Wohngebäudes mit mehr als drei Geschossen über dem Erdboden ist mindestens ein Personenaufzug zu errichten“
Der Einbau von Personenaufzügen erst ab dem vierten Geschoss schränkt die Wohnungswahl von Menschen mit Behinderungen und damit deren Recht auf Selbstbestimmung, Teilhabe und Chancengleichheit deutlich ein.
Barrierefreiheit ab bestimmter Nutzungsfläche bzw. Parteienverkehr
§ 31 (1) Oö. BauTG 201:
Über die barrierefreie Gestaltung von Bauwerken erfolgt eine taxative Auflistung der barrierefrei auszuführenden Bauwerke sowie die Verknüpfung einzelner Bauwerkskategorien mit „Grenzwerten“ (z.B. Bauwerke für mindestens 50 BesucherInnen, Beherbergungsbetriebe mit mehr als 20 Betten oder Garagen mit mehr als 1000 m2 Nutzfläche).
Derartige Limitierungen stellen diskriminierende Einschränkungen dar, die nicht akzeptabel sind. Wenn Bauwerke "öffentlich zugänglich" sind, dann sind sie unbeschadet ihrer Größe "für alle zugänglich" zu planen und auszuführen. Alles andere wäre menschenrechtswidrig.
Dazu ein Beispiel aus der Pressekonferenz vom 13.Februar 2012: Sie leben in einer Gemeinde. Der Gemeinderat ist für Sie eine wichtige Anlaufstelle. Da sie mobilitätseingeschränkt sind, erreichen Sie den Gemeinderat nicht, weil das Gebäude leider baulich nicht barrierefrei gestaltet ist. Aktuell gibt es in OÖ nur einen Gemeinderat der barrierefrei gebaut ist und das ist der Gemeinderat in Linz.
Anpassbarer Wohnbau erst ab Bauten mit mindestens vier Obergeschossen
§ 31 (2) Oö. BauTG 2012: „In Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen, außer bei verdichteter Flachbauweise, sind die Wohnungen im Erdgeschoss barrierefrei zu planen und auszuführen; andere Wohnungen sind, wenn sie gemäß § 25 Abs. 3 mit einem Personenaufzug erschlossen werden, so zu planen und auszuführen, dass sie gegebenenfalls mit minimalem Aufwand barrierefrei ausgestaltet werden können (anpassbarer Wohnbau).“
Bisher war der „anpassbare Wohnbau“ für alle Wohnungen (im mehrgeschossigen Wohnbau) vorgeschrieben. In Zukunft soll der anpassbare Wohnbau an das Vorhandensein eines Personenaufzuges geknüpft sein. Dies würde eine starke Reduzierung der Anzahl der „anpassbaren Wohnungen“ bedeuten.
Der Einbau eines Personenaufzuges hängt bei den vorgeschlagenen Änderungen nämlich von der Geschosszahl ab und ist erst ab dem 4. Obergeschoss „verpflichtend“. Speziell für den ländlichen Raum, wo Wohngebäude oft maximal drei Obergeschosse haben, würde durch diese Bestimmung zukünftig eine eklatante Unterversorgung mit „anpassbaren“ Wohnungen gegeben sein.
Durch den Verzicht auf den anpassbaren Wohnbau entfällt die Verpflichtung, für diese Gebäude zumindest den Platz für den nachträglichen Einbau eines Aufzuges einzuplanen. Dadurch werden wieder Situationen wie bei vielen derzeit bestehenden Wohnbauten entstehen, dass bei Aufzügen die nachträglich an der Außenwand angestellt werden, nur der Treppenabsatz und nicht die jeweilige Geschoßebene angefahren werden kann. Eine Beschränkung von barrierefreien Wohnungen auf das Erdgeschoss würde nicht akzeptable Ghettosituationen schaffen.
Das Vorhandensein von barrierefreien Wohnungen im Erdgeschoss ist kein „Ersatz“, da erfahrungsgemäß aus unterschiedlichsten Gründen ein Wohnungstausch oft nicht vorgenommen wird.
Das bedeutet: Ist eine Wohnung einmal bezogen und eine nachträgliche barrierefreie Anpassung wird später einmal notwendig, stellt sich die Frage, wer aus seiner Erdgeschosswohnung auszieht, um jemand Platz zu machen, der eine barrierefreie Wohnung benötigt. Vom "Netzwerk Barrierefreies OÖ“ wird attestiert, dass sich eine solche Lösung bereits vor 20 Jahren in der Stadt Wien nicht bewährt hat.
Außerdem haben auch Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, das Recht selbst zu wählen, ob sie im Erdgeschoss wohnen möchten oder nicht.
Es besteht jetzt schon ein großer Bedarf an barrierefreien Wohnungen. Betroffene, die derartige Wohnungen suchen, müssen sehr lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Die Zahlen aus der Bevölkerungsstatistik sprechen eine klare Sprache: Es werden in Zukunft wesentlich mehr den unterschiedlichen Bedürfnissen angepasste Wohnungen benötigt.
Barrierefreie Stellplätze bei Gebäuden
§ 42 (9) Oö. BauTG 2012: „Bei Stellplätzen von Gebäuden, die öffentlichen Zwecken dienen, bei Parkhäusern und Tiefgaragen sowie bei Wohnbauten mit mehr als drei Wohnungen ist für je begonnene 30 Stellplätze mindestens ein barrierefrei ausgeführter Stellplatz vorzusehen und als solcher zu kennzeichnen.“
Die Verpflichtung für die Errichtung eines zweiten barrierefrei ausgeführten Abstellplatzes erst ab dem 31. Abstellplatz ist im Zusammenhang mit den Stellplätzen bei Wohnbauten ungeeignet, da die Anzahl mindestens im Verhältnis zu den barrierefreien Wohnungen zu sehen ist.
Änderungen hätten keine Auswirkungen auf verschiedene Gruppen der Gesellschaft
Im allgemeinen Teil des Begutachtungsentwurfes des Oö. Bautechnikgesetzes heißt es in Punkt VI: „Die in diesem Landesgesetz enthaltenen Regelungen haben – soweit ersichtlich – weder direkt noch indirekt unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft.“
Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen dürfte diese Behauptung in den Erläuterungen nicht zutreffend sein, da der Gesetzesvorschlag für Menschen mit Behinderungen, für Familien und ältere Menschen eindeutige Verschlechterungen enthält.
Geplante Änderungen für die Bautechnikverordnung 2012 (Oö. BauTV 2012)
Folgende diskriminierenden Verschlechterungen sind im Begutachtungsentwurf der Oö. Bautechnikverordnung 2012 zu finden:
§ 4 (2) Oö. BauTV 2012 besagt, dass die Richtlinie des Österreichischen Instituts für Bautechnik "Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit" vom Oktober 2011 mit folgender Maßgabe gilt:
1. Punkt 2.1.4 der Richtlinie gilt nicht. § 25 Abs. 3 Oö. Bautechnikgesetz 2012 bleibt unbe-rührt.
2. Punkt 2.1.5 der Richtlinie gilt nur für Personenaufzüge im Sinn des § 25 Abs. 3 Oö. Bau-technikgesetz 2012 sowie bei der nachträglichen Errichtung von Aufzügen bei bestehenden Wohngebäuden mit mehr als drei Geschoßen über dem Erdboden.
Der Punkt 2.1.4 und 2.1.5 der Richtlinie des Österreichischen Instituts für Bautechnik "Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit" vom Oktober 2011 ist der Mindeststandard betreffend Personenaufzüge. Grundsätzlich sollten die Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik, Ausgabe 2011 ohne Einschränkungen übernommen werden.
Vertikale Plattformlifte, wenn „widmungsgemäß“ nicht mehr als 50 Personen im Haus betroffen
§ 4 (2) 7. b) Oö. BauTV 2012: Abweichend von Punkt 5.2.3 der ÖNORM B 1600 dürfen in Gebäuden, in denen sich, ausgenommen im barrierefreien Erdgeschoss, widmungsgemäß insgesamt nicht mehr als 50 Personen aufhalten, können auch vertikale Plattformaufzüge ausgeführt werden.
Vertikale Plattformlifte sind beispielsweise Treppenlifte. Vertikale Plattformaufzüge werden vor allem in „Privathaushalten“ verwendet. Benutzt werden diese nach einer entsprechenden Einschulung. Eine sachgemäße und sichere Benützung ist im öffentlichen Bereich nicht gewährleistet und engt den Nutzerkreis stark ein.
Rampen bis zu 5 Meter dürfen bis zu 10% Längsgefälle haben
§ 4 (2) 7. c) Oö. BauTG 2012: „Abweichend von Punkt 5.3.2 der ÖNORM B 1600 darf innerhalb von Gebäuden das Längsgefälle von Rampen mit der Länge von nicht mehr als 5 m bis zu 10 % betragen.“
Die ÖNORM spricht von 6% Längsgefälle für Rampen, von 10% bei Adaptierungen in Gebäuden. Generell gilt: Niveauunterschiede wie z. B. Stufen im Gebäudeinneren sind zu vermeiden. Ist dies nicht möglich, dann ist im Neubau Punkt 5.3.2 der ÖNORM B 1600 Stand 2011 für Rampen anzuwenden. Die vorgesehene Zulassung von Rampen mit 10 % sind für viele Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen nicht selbständig und sicher benützbar und daher diskriminierend.
Forderung des "Netzwerks Barrierefreies OÖ“
Die Begutachtungsentwürfe des Oö. Bautechnikgesetzes 2012 und der Oö.Bautechnikverordnung 2012 bergen viele Verschlechterungen hinsichtlich Barrierefreiheit. Diese sind abzulehnen. Das "Netzwerk Barrierefreies OÖ“ fordert, dass zumindest die bisher gültigen Bestimmungen in den betreffenden Landesgesetzen und Landesverordnungen hinsichtlich Barrierefreiheit beibehalten werden und es zu keinen Rückschritten im Bereich der Barrierefreiheit in OÖ kommt.
Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht. Gemeinsam mit ExpertInnen und verschiedensten Organisationen, die die Interessen von Menschen vertreten, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, ist laufend an der Verbesserung der Barrierefreiheit in Oberösterreich im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu arbeiten.
Schließen Sie sich dem "Netzwerk Barrierefreies OÖ“ an
Um gemeinsam gegen die drohenden Verschlechterungen der Barrierefreiheit zu kämpfen, haben die Selbstbestimmt-Leben-Initiative OÖ und der Zivilinvalidenverband OÖ das Netz-werk „Barrierefreies OÖ“ gegründet. Zahlreiche andere Organisationen aber auch Einzelpersonen, haben sich diesem Netzwerk bereits angeschlossen.
Wer sich als Einzelperson oder auch als Organisation den Forderungen und Anliegen des "Netzwerkes Barrierefreies OÖ“ anschließen möchte, kann dies durch eine Eintragung im Internet auf www.barrierefreies-ooe.at tun.
(von "Netzwerk Barrierefreies OÖ“)