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Bei Nicole Schuster wurde als junge Erwachsene die Diagnose Asperger-Syndrom gestellt. Sie hat sich der Diagnose gestellt, hat dadurch einiges in ihrem Leben besser verstanden und mit der persönlichen Situation umgehen gelernt. Heute sieht sich nicht mehr als Autistin, auch wenn Autismus gemäß dem aktuellen Forschungsstand als nicht heilbar gilt. Sie arbeitet als Apothekerin und in der klinischen Forschung und setzt sich für autistische Menschen ein.
Ein Motto lautet: Autismus macht vielleicht vieles schwer, ist aber kein Grund aufzugeben.
Vergangene Woche war Nicole Schuster als Referentin am Öffnet einen externen Link in einem neuen FensterMartinstift-Symposium des Diakoniewerks geladen. In ihrem Vortrag erklärte sie, dass für Menschen mit Autismus eine gesellschaftsfähige Kommunikation häufig ein Buch mit sieben Siegeln ist. Darüber hinaus existieren viele Missverständnisse über Betroffene. Menschen mit Autismus werden häufig als “eingeigelte” und hochbegabte Menschen wahrgenommen, obwohl Hoch- oder Inselbegabungen nur gelegentlich auftreten. Manche nehmen autistische Menschen als gefühlskalt, jähzornig oder scheinbar unhöflich wahr, wenn Betroffene Wünsche oder Interessen sehr direkt ansprechen. Nicole Schuster beschreibt in ihrem Vortrag und einem persönlichen Interview einige Regeln, die Ihnen den Umgang mit Menschen mit Autismus erleichtern.

Tägliche Kommunikation

In der täglichen Kommunikation und Diskussionen fällt es autistischen Menschen schwer, zu erkennen, wann der Zeitpunkt für einen höflichen Wechsel im Gespräch gekommen ist. Manche sprechen weiter. Betroffene können daher mit Vertrauenspersonen Codewörter oder Zeichen vereinbaren, um leichter zu erkennen, wann man lange genug gesprochen hat.
Für manche Menschen mit Autismus hat beispielsweise Small Talk keinen Informationszugewinn. Für nicht-autistische Menschen gehört Small Talk aber zur täglichen Kommunikation im Privat- und Berufsleben. Mit Vertrauenspersonen kann in Rollenspielen geübt werden, wie man sich in der täglichen Kommunikation verhält und wie man „small talkt“. Beim Training benötigen autistische Menschen oft lange Zeit, bis eine Änderung eintritt. Sie brauchen daher viel Verständnis.

Anweisungen und Redewendungen

Oft werden Anweisungen umständlich und kompliziert ausgedrückt, weil man die Beziehung mit der Person weiter ausbauen oder nicht gefährden möchte.
Ein Beispiel: Eine Mutter möchte, dass ihr Kind, das eine autistische Störung hat, sein Zimmer aufräumt. Sie sagt zu ihrem Kind: „Kannst du dein Zimmer aufräumen?“ Das Kind versteht die Anweisung als Frage, ob es die Fähigkeit besitzt, das Zimmer aufzuräumen. Das Kind denkt sich, dass es das natürlich kann und räumt das Zimmer nicht auf.
Idealerweise sagt man Menschen mit Autismus direkt, was man möchte. So verstehen sie eher, was gewünscht wird.
Ähnliche Missverständnisse geschehen bei Redewendungen, die von Menschen mit Autismus häufig wortwörtlich und damit nicht alltagssprachlich verstanden werden. Auch hier gilt, das Gewünschte so direkt und trotzdem höflich anzusprechen.

Zeitstruktur und Alltagsleben

Menschen mit Autismus können schlecht planen oder Ereignisse chronologisch vorhersehen. Manche haben keine Idee, was sie in einer halben Stunde machen sollen und was danach. Daraus ergibt sich das häufig als „trödeln“ (sich Zeit lassen) empfundene Verhalten, wenn die eine Person zum Aufbruch drängt, weil man um acht Uhr in der Schule oder Arbeit sein soll und der Mensch mit Autismus noch nicht mal die Schuhe angezogen hat.
Sie können mit ausführlichen Wochenplänen unterstützen. Ein solcher Wochenplan kann auch die Zeit für das Zähne putzen, das Frühstück, Schuhe anziehen, Haus oder Wohnung verlassen und vieles mehr detailliert nennen. So lernen Betroffene, wie lange sie für welchen Bereich im Alltag brauchen sollen, um trotzdem pünktlich in der Schule oder Arbeit zu sein.

Änderungen

Änderungen verursachen bei vielen autistischen Menschen große Ängste. Wenn sie sich unvorbereitet in geänderten Situationen befinden, reagieren manche mittels Panikattacken, manche aggressiv oder autoaggressiv. Menschen mit Autismus halten sich genau an – häufig selbst auferlegte – Regeln und so braucht es lange, bis Betroffene sich an Änderungen gewöhnen.  Daher sollen Änderungen langsam und nur Stück für Stück neu eingeführt werden. Angepasstes Verhalten, auch wenn es kaum erkennbar ist, sollte belohnt und als große Leistung für die betroffene Person anerkannt werden.
Nicole Schuster betont immer wieder, dass Betroffene von sich aus zu Änderungen bereit sein müssen. Der Mensch mit Autismus muss an sich arbeiten und sich entwickeln wollen. Sonst haben lebensbezogene Änderungen keine Nachhaltigkeit.

Die Autorin Nicole Schuster

Bei Nicole Schuster wurde als junge Erwachsene die Diagnose Asperger-Syndrom gestellt. Diese Diagnose hat ihr einiges klar gemacht und neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet. In ihrem Buch „Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing“ beschreibt sie neben dem aktuellen Forschungsstand auch persönliche Erfahrungen mit Autismus, wo ein gleichförmig ablaufender Tag, der vorhersehbar ist, ein guter Tag ist, denn Flexibilität ist für Betroffene in der Regel nicht möglich.
Nicole Schuster hat noch weitere Bücher geschrieben, in denen sie persönliche Erfahrungen und mögliche Missverständnisse zusammenfasst. „Colines Welt hat tausend Rätsel“ und „Colines Welt hat neue Rätsel“ sind Alltags- und Lerngeschichten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Asperger-Syndrom. Im Buch „Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen“ werden der schulische Alltag beleuchtet sowie Tipps für die Praxis gegeben.

Drei Wünsche

Als Mensch wünscht sich Nicole Schuster, dass autistische Menschen als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden und, dass Betroffene von der Gesellschaft und von Einzelnen Vertrauensvorschuss dafür erhalten, damit sie sich ausprobieren dürfen. Darüber hinaus wünscht sie sich die Bereitschaft, Menschen mit Autismus als Individuen zu betrachten. Nicole Schuster spricht die Einzigartigkeit eines jeden Menschen (mit Autismus) an und hat damit einen Wunsch, der letztlich alle Lebensbereiche umfasst: Menschen mit Autismus haben unterschiedliche Bedürfnisse in der Ansprache und Betreuung, im Training, der Kommunikation und im Leben ganz allgemein. Sie erleben verschiedene persönliche Einschränkungen und brauchen daher andere Hilfen. Autismus macht also vielleicht wirklich vieles schwer und ist kein Grund aufzugeben.
(von KI-I)