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“Über 20 Jahre wurde am Pflegesystem herumgebaut, jetzt ist es Zeit für eine umfassende Generalsanierung”, fordert Othmar Karas, Präsident des Hilfswerks Österreich, der größten Anbieterorganisation im Bereich mobiler Pflege in Österreich anlässlich der nächste Woche beginnenden Gespräche über die Zukunft der Pflegefinanzierung.

Pflegereform häufig eindimensional betrachtet

“Die Finanzierung ist ein wichtiger Teil der notwendigen Reformen des Pflegewesens in Österreich, aber nicht der einzige!”, so Karas. “Wer nur über neue Steuern redet, macht es sich viel zu einfach. Beispiel Personal: Was nützt es, wenn wir die Finanzierung zwar geklärt haben, aber keine Leute haben, die pflegen?”, fragt Karas. “Die wachsende Zahl an pflegebedürftigen Menschen bedingt auch einen zusätzlichen Bedarf an Pflegepersonal. Schon derzeit gibt es hier einen Mangel. Durch eine “demografische Doppelmühle” – Zahl der Pflegebedürftigen steigt, Zahl des Arbeitskräftepotentials sinkt – wird sich dieser Zustand verschärfen. Das derzeitige Ausbildungssystem ist diesen Herausforderungen nicht gewachsen.”, so Karas.
Aufgrund der äußerst komplizierten Kompetenzlage würden immer wieder Maßnahmen ohne Generalplan gesetzt. Als jüngste Beispiele nennt Karas dabei die Diskussion um Abschaffung und Wiedereinführung des Angehörigenregresses oder die Verschärfung der Zugangskriterien zum Pflegegeld aus budgetären Gründen.
“Wir haben derzeit noch eine “demografische Atempause”, aber im Jahr 2020, wenn die Babyboomer in ein Alter kommen, in dem viele pflegebedürftig werden, brauchen wir wesentlich leistungsfähigere Strukturen und etwa eine Milliarde Euro mehr im Pflegesystem, um die Herausforderungen zu meistern”, so Karas.
“Das österreichische System der Pflegesicherung baut auf der Sozialhilfe, die eigentlich als Armutsnetz konzipiert war auf. Sachgerechter wäre es aber, Pflege als Lebensrisiko wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit zu sehen und dementsprechend von der Fürsorge her eher in Richtung Sozialversicherungslogik – mit entsprechenden Ansprüchen – zu entwickeln”, so Karas weiter.
Unterschiedlich und ungerecht ist die Versorgungssituation in den einzelnen Bundesländern mit unterschiedlichen Kostenbeiträgen für die Menschen. Das Versorgungsangebot weist aber nicht nur regionale, sondern auch fachliche Lücken auf. Neben einem notwendigen Ausbau der mobilen Dienste gibt es insbesondere bei Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige (z.B. Kurzzeitbetreuung, Halbtages- und Tagesbetreuung) sowie bei Wohnformen zwischen der Betreuung zu Hause und einem Pflegeheim Lücken (zu schließen mit betreutem Wohnen, Wohngruppen etc.).

Umfassende Pflegereform

Da diese Probleme untrennbar zusammenhängen, plädiert Hilfswerk-Präsident Othmar Karas nachdrücklich dafür, in den kommenden Verhandlungen zur Pflegefinanzierung auch Fragen zum Bereich Angebot, Personal und pflegende Angehörige einzubeziehen.
“Es sind vier Teilpakete, die im Rahmen der umfassenden Pflegereform behandelt werden sollten, damit letztlich eine Reform “aus einem Guss” gelingt”, sagt Karas. “Finanzierung, Lückenschluss im Betreuungssystem, eine Reform bei der Personalausbildung und die Entlastung der pflegenden Angehörigen”, so Karas.

Debatte soll frei von primär ideologischen Debatten sein

Karas appelliert in diesem Zusammenhang auch dafür, die Frage der Pflegefinanzierung nicht für primär ideologische Debatten zu missbrauchen. “Es gibt beispielsweise keinen direkten Zusammenhang zwischen Vermögenssteuer und Pflege. Pflege ist auch nicht primär eine Verteilungsfrage zwischen Arm und Reich. Das Risiko pflegebedürftig zu werden, macht vor Stand, Herkunft und Geschlecht wenig Unterschied!”, so Karas.
“Bei der Debatte über die künftige Pflegefinanzierung darf nie übersehen werden, dass wir nicht von Null ausgehen. Schon jetzt werden aus öffentlichen Mitteln etwa 4 Milliarden Euro für Pflege bereitgestellt. Damit sind auch schon 80% der Finanzierung im Jahr 2020 abgedeckt.”, so Karas.

Pflegesicherungsbeitrag und andere mögliche Ansätze

Für Karas ist ein Pflegesicherungsbeitrag denkbar, der zwar mit einer sozialversicherungsähnlichen Leistung verbunden wäre, aber nicht zwingend nach der Logik anderer Sozialversicherungsbeiträge eingehoben wird, verbunden mit sozial gestaffelten, vernünftigen Selbstbehalten, die den Anreiz bieten, nur Leistungen in Anspruch zu nehmen, die tatsächlich gebraucht werden, andererseits aber nicht prohibitiv wirken. Dazu mehr Anreize für die Menschen, auch privat vorzusorgen, für eine bessere Verzahnung mit dem öffentlichen System.
“Ein Teil der Pflegefinanzierung muss wohl aus allgemeinen Steuereinnahmen kommen”, so Karas weiter. “Wobei es nur einige wenige Steuern gibt, die eine (partielle) Zweckbindung für den Pflegebereich nahelegen (z.B. Tabaksteuer, Alkoholsteuer), alles andere ist eine Frage der gesellschaftlichen Lastenverteilung”, so Karas.
“Es geht bei der Frage der Pflegefinanzierung auch um Gerechtigkeitsfragen – wenngleich nicht so eindimensional, wie es manche Akteure der heimischen Politik derzeit darstellen möchten”, so Karas abschließend.
(von Hilfswerk Österreich; Quelle: OTS)