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Zu finanziell heißen Zeiten, wenn Diskussionen ums Pflegegeld oder die Persönliche Assistenz Gemüter erhitzen, kommen die Bruckners gerade richtig. William und Victoria Bruckner waren vergangene Woche in Linz zu Gast und berichteten von der Selbstbestimmt Leben Initiative in den USA, über Persönliche Assistenz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und boten für eine erlesene Schar an Interessierten einen zweitägigen Workshop zu Peerberatung.

Die Bruckners

William Bruckner, 60-jährig, von Geburt an behindert, wuchs ebenso wie Victoria Bruckner in einer Zeit auf, als es keine Selbstbestimmt Leben Initiative gab und Kinder mit Behinderung ausschließlich Sonderschulen besuchten. Bill Bruckner studierte Sozialarbeit und arbeitete 10 Jahre in einem Selbstbestimmt Leben Zentrum.
Vicky Bruckner ist 59 Jahre und ebenfalls seit ihrer Geburt behindert. Weil die Schule ums Eck sie nicht als Schülerin nehmen durfte oder wollte, fuhr Vicky täglich 1 ½ Stunden in die Sonderschule und wieder zurück. Damals gab es keine barrierefreien Gebäude oder zugänglich gestalteten öffentlichen Verkehr. Bei jedem Ausflug mussten sich Vickys Eltern erkundigen, ob es Stufen gab oder ob ein Lift vorhanden war, ob man die eigene Tochter zu einem Ausflug mitnehmen konnte. Das ist heute in den USA kein Thema mehr.
Da es de facto keine barrierefreien Angebote gab und Vicky jeden Tag weit in die Schule fahren musste, begannen sie und ihre Eltern für mehr Zugänglichkeit zu kämpfen. Schließlich durfte Vicky als eine von drei SchülerInnen mit Behinderung ein „normales“ Gymnasium besuchen. Die ersten Integrationsklassen waren geschaffen. Anschließend studierte sie. Vicky Bruckners erster Arbeitsplatz war im „Center  forIndependent Living“ in Berkeley, Kalifornien. Sie war dort als Sozialarbeiterin, Psychotherapeutin und Peer Beraterin tätig.
Sowohl Bill als auch Victoria Bruckner sprachen sich schon damals stark für ein selbstbestimmtes Leben aus. Seit 1992 sind sie mit ihrer Firma „Bruckner Consultants LLC“ selbständig beratend tätig. Die Bruckners arbeiten dafür, dass die geltenden Gesetze (z.B. der Americans with Disabilities Act) korrekt umgesetzt werden. Sie beraten Firmen, politische Institutionen und Sozialeinrichtungen. Sie bieten Peer-Beratung sowie Ausbildungen zur Peer-Beratung und sind Mitbegründer der weltweiten Selbstbestimmt Leben Bewegung.

Selbstbestimmt Leben

Selbstbestimmung wird gern damit gleichgesetzt, dass man alles für sich selbst tun kann. Das ist ein Mythos. Die Realität zeigt: Wir alle leben zusammen und unterstützen uns gegenseitig. Niemand ist vollkommen unabhängig. Selbstbestimmt leben heißt daher, selbst zu bestimmen, mit wem man leben möchte, die Wahl zu haben wie und von wem man sich im eigenen Leben unterstützen lässt oder wie viel Unterstützung man in Anspruch nimmt.

Faktoren für ein selbstbestimmtes Leben

Persönliche Assistenz wird als grundlegend wichtig für ein selbstbestimmtes Leben beschrieben. Daneben sind barrierefreie Wohn- und (öffentliche) Transportmöglichkeiten wichtig. Neben baulichen Anpassungen ist eine entsprechende Unterstützung für Menschen mit Sinnes- oder kognitiver Beeinträchtigung notwendig, beispielsweise in Ämtern aufliegende Informationsbroschüren in zugänglichen Dateiformaten anzubieten.

Selbstbestimmt Leben heißt Stärke, Kreativität und Unterstützung

Früher gab es viele, die Menschen mit Beeinträchtigung zumindest als hilflos oder abhängig von anderen betrachteten.  In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Bild von Menschen mit Beeinträchtigung in der Öffentlichkeit stark gewandelt. Die Basis für eine solche Veränderung ist laut den Bruckners, dass Menschen mit Beeinträchtigung sich selbst als stark wahrnehmen, denn das Leben erfordert Stärke und Kreativität. Nicht immer führt der gerade Weg ans Ziel. Es werden neue Wege beschritten, um zur Schule zu gehen, in der Arbeit zurechtzukommen oder die Freizeit zu genießen.

Selbstbestimmt Leben Bewegung: Ziele und Herausforderungen

Während sich die Selbstbestimmt Leben Bewegung in den USA formierte, entstanden fast überall auf der Welt ähnliche Initiativen. Ziele sind äußere Hindernisse sowie Barrieren in den Köpfen der Menschen vollständig zu entfernen und Menschen mit Beeinträchtigung als Individuen mit Stärken, Fähigkeiten und innerer Kraft zu sehen. In den vergangenen Jahren wurde hierfür vieles erreicht, doch auch in den USA macht der Rotstift vor den Betroffenen nicht Halt.
Die Bruckners machen klar: Die USA sind toll, wenn Rechte durchgesetzt werden sollen, aber nicht wenn es um soziale Unterstützung geht. Deshalb engagiert sich die Selbstbestimmt Leben Bewegung heute dafür, dass die finanziellen Mittel für Persönliche Assistenz ungekürzt und erkämpfte Rechte erhalten bleiben.
Dafür sensibilisieren sie auch engagierte PolitikerInnen und Einzelpersonen, denn je mehr hören, dass Menschen mit Beeinträchtigung für ihre Rechte kämpfen, desto mehr begreifen, dass Menschen mit Beeinträchtigung stark sind. Je mehr Menschen selbstbestimmtes Leben unterstützen und je weniger Barrieren existieren, desto mehr werden erkennen, wie die Welt sein kann. Wenn sich die Denkrichtung in der Gesellschaft wandelt, ändern sich automatisch die Lebensbedingungen für Menschen mit Beeinträchtigung. Dafür braucht es auch heute noch Sensibilisierung, Aufklärung und Peer-Beratung.
(Kerstin Matausch, KI-I)