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(von Angela Wegscheider, Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik)

Neueröffnung Frühjahr 2007

„Da schaut man nicht hin`, mahnt die Mutter das Kind, wenn ihnen auf der Straße ein behinderter Mensch begegnet.“ (Radtke 2001, S 138). Aber gerade dieses Angestarrt werden bezeichnen Menschen mit Behinderung als eine sehr zentrale Erfahrung ihres Behindert-seins. (Boog 2005, S 98) Eine Ausstellung ist ein Ort des Hinschauens und die Fotos von Menschen mit Behinderung werden zwangsläufig zum Objekt der Neugierde. Anders als früher in so genannten Freakshows soll die Ausstellung der Sensibilisierung und Aufklärung gegenüber den Lebenslagen und Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung dienen und somit ein Weggefährte echter, unsentimentaler Inklusion werden.

Die Aktualisierung hat zum Ziel …

Durch die überwältigende Resonanz und die ständige Weiterentwicklung in der Diskussion und im Gesetz bedarf der Themenbereich „Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft“ in der Dauerausstellung einer umfassenden Aktualisierung: einerseits um eine hohe pädagogische Qualität und die inhaltliche Aktualität zu garantieren, anderseits geht es uns auch darum, die Ausstellungsinhalte für Menschen mit Behinderung zugänglich zu gestalten.
Die Neugestaltung des Bereichs „Leben mit Behinderung“ verfolgt das Ziel, das Thema „Leben mit und ohne Behinderungen“ möglichst konkret erfahrbar zu machen. Sieben Personen mit Behinderung gewähren durch das Medium Foto direkte Einblicke in persönliche Lebensumstände: erlauben Nähe, wahren Distanz. Die Ausstellung wird so auch zu einem Sprachrohr für aktuelle Forderungen und Probleme behinderter Menschen.
Ziel ist es darzustellen, dass sich die Lebensvorstellungen und -wünsche von behinderten Menschen nicht wesentlich von nicht-behinderten Menschen unterscheiden. Eine Beeinträchtigung bedeutet oft nur eine Adaption der Umwelt auf spezifische Bedürfnisse. Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben, stoßen auf viele Barrieren im Alltag: Stufen, Vorurteile, schwierige Sprache, ungesicherte Baustellen, Verständnislosigkeit, Kommunikationsschwierigkeiten, Ausgrenzung. Mit einer Behinderung zu leben kann zu Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung führen.

Die neuen Inhalte …

Durch den Hinweis auf die den Biowissenschaften inhärente Leitvorstellung einer schmerz- und leidfreien Gesellschaft (und der damit implizierten Frage nach dem Wert kranken oder behinderten Lebens) in den vorangehenden Räumen wird die Verbindung mit dem Ausstellungsbereich „Leben mit und ohne Behinderungen“ geschaffen, der die hier theoretisch angesprochenen Probleme auf die konkrete Ebene betroffener Menschen transferiert. Dieser Wechsel der Perspektive wird eingeleitet durch die Darstellung der Menschenrechte, die unteilbar sind und für alle Menschen gleichermaßen gelten.
Die folgenden Ausstellungsräume informieren die BesucherInnen über Lebenslagen im Alltag und am Arbeitsmarkt. Es werden positive Beispiele von Erfolgen in der Gleichberechtigung und der Partizipation wie auch negative Exempel in der Ausstellung präsentiert. Die Präsentation erfolgt mit Hilfe von Interviewbeiträgen, Kunstfotografien, Begleitfilmen sowie interaktiven Elementen und informiert über Lebens- und Arbeitssituationen, über die Inanspruchnahme von Assistenzdiensten, therapeutischen und sozialen Leistungen. Nicht die Art der Beeinträchtigung steht im Vordergrund, sondern die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit von Lebensentwürfen. Auf verschiedenen Ebenen werden die BesucherInnen mit den Themenbereichen Behinderung, Beeinträchtigung, Diskriminierung und Gleichstellung sowie Gleichberechtigung konfrontiert. 

Einige der vielen Gründe für diese Ausstellung …

In der Mediengesellschaft, in der wir leben, sehen wir täglich computergeschönte und normierte Körper utopischer Wunschvorstellungen. Wer entspricht dem Idealbild eines Menschen? Eigentlich fast niemand, da es eine konstruierte Wirklichkeit ist.
Wenn über Menschen mit Behinderung berichtet wird, soll die reale Welt – nicht eine Erhöhung oder Erniedrigung – im Vordergrund stehen. Besonders eine Polarisierung zwischen der Glorifizierung außergewöhnlicher Menschen (Stephen Hawkins, Stevie Wonder, Einbeiniger am Annapurna) einerseits und der Darstellung eines hilfsbedürftigen und geschlechtslosen Wesens (Kind mit Kulleraugen im Rollstuhl) andererseits mE ist besonders kritisch.  (vgl. Wilflingseder 2005, S 63)
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Luhmann, N. 1996)  Für viele nicht-behinderte Menschen ist der Umgang mit Behinderung ungewohnt. Manche reagieren hilflos, mitleidig oder peinlich berührt, wenn sie mit einer für sie „schrecklichen“ Beeinträchtigung konfrontiert werden. Diese Unfähigkeit, mit einer Situation umzugehen, manifestiert sich auch in den Medien, Bildern und Sprache.
Eine eindimensionale, verallgemeinernde Verwendungsweise von bestimmten Motiven in den Medien beeinflusst die gesellschaftliche Bedeutung von Behinderung. Ziel der AusstellungsmacherInnen ist es ein vielschichtiges Bild von Menschen mit Behinderung zu zeichnen. Die Fotoausstellung fördert das Hinsehen und erlaubt dem/der BetrachterIn Nähe. Gleichzeitig bleibt die Distanz gewahrt, da die persönlichen Lebenslagen unserer ProtagonistInnen ein Geheimnis bleiben. Durch die Einblicke in verschiedene Lebenswirklichkeiten wie Arbeit, Bildung und Assistenz wird die Reduzierung auf das Merkmal Behinderung vermieden. Information rund um ein Leben mit Behinderung sowie Erfahrungsberichte verschiedener Menschen machen bewusst, dass Menschen mit Behinderung eine höchst unterschiedliche Personengruppe sind, deren Bedürfnisse, Ziele und Forderungen sehr verschieden sind.

Literaturhinweise:

Boog, S.: Visuelle Rethorik, S 98 – 100, in: Firlinger, B. et al. (Hrsg.): MAINual, Wien. 2005
Radkte, P.: Seht her ich bin`s, S 137 – 144, in: Stiftung Deutsches Hygiene-Museum (Hrsg.): Der Imperfekte Mensch, Dresden. 2001
Luhmann, N. : Die Realität der Massenmedien,  1996
Wilflingseder, T.: Keine Wunderwuzzis, keine Armutschkerl, S 63 – 65, in: Firlinger, B. et al. (Hrsg.): MAINual, Wien. 2005