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Das Bildungsministerium solle einen Plan vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung vorlegen, fordert das Prüforgan

Österreich hat vor mehr als zehn Jahren die Behindertenrechtskonvention der UNO ratifiziert und sich verpflichtet, Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsames Lernen zu ermöglichen – vom Kindergarten bis zur Hochschule. Bei der Umsetzung hapert es jedoch: Es fehle eine Strategie für alle Bildungsbereiche, kritisiert der Rechnungshof (RH) in einem am Freitag veröffentlichten Bericht.
Konkret hat der RH überprüft, was das Bildungsministerium und die Länder Tirol und Kärnten in den Schuljahren 2011/12 bis 2015/16 getan haben, um die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention bzw. des darauf basierenden Nationalen Aktionsplans Behinderung 2012 bis 2020 und die betreffenden Punkte im Regierungsprogramm der rot-schwarzen Koalition für die Jahre 2013-2018 umzusetzen. Das Fazit: Zu wenig.

Zeitplan verfehlt

Mit dem Jahr 2015 legte die damalige Regierung erst spät eine Richtlinie zur Entwicklung von “inklusiven Modellregionen” ohne Sonderschulen vor. Eingerichtet wurden die Modellregionen in der Steiermark, Kärnten und Tirol, umfasst waren allerdings nur die Pflichtschulen (v.a. Volksschulen, Neue Mittelschule). Eigentlich war bis 2020 die Ausweitung auf alle Bundesländer vorgesehen. Eine Einhaltung dieses Zeitplans ist aus Sicht des RH jedoch wegen des späten Starts nur “schwer umsetzbar”, dafür wäre jedenfalls die Einbindung aller Länder notwendig.
Mit dem Regierungsprogramm der türkis-blauen Koalition entstand allerdings ein “Spannungsfeld”, wie der Rechnungshof es nennt: Darin ist nämlich nicht nur der Erhalt der Sonderschulen vorgesehen, sondern sogar deren Stärkung. Der RH fordert das Ministerium deshalb auf, nach Abschluss des Projekts “Inklusive Modellregionen” “Schlüsse über die einzelnen Maßnahmen zu ziehen und den Inklusionsansatz im Bildungssystem zu präzisieren”. Außerdem solle das Ministerium mit den anderen zuständigen Ressorts eine Strategie entwickeln, die das gesamte Bildungssystem – vom Kindergarten bis zu Hochschulen und Erwachsenenbildung – umfasst.
Verbesserungsbedarf ortet der RH auch bei der Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF): Zwischen 2012 und 2016 ist die Zahl der Schüler mit SPF um zwei Prozent auf 30.690 gestiegen. Das sind rund fünf Prozent aller Pflichtschüler, wobei die Zahlen je nach Bundesland unterschiedlich sind (Tirol: vier, Kärnten sechs Prozent).

Verfahren mangelhaft

Der Rechnungshof fordert deshalb “eine qualitative Verbesserung der Verfahren”. Neben einheitlicher Aus- und Weiterbildung der Gutachter soll auch stärker überprüft werden, ob bereits alle anderen möglichen Fördermaßnahmen ausgeschöpft wurden, mehr Rücksicht auf die Muttersprache der Kinder genommen und ein SPF nur bei Diagnose einer Behinderung oder Störung vergeben wird. Immerhin habe dieser Status weitreichende Auswirkungen auf die weitere Bildungskarriere, begründet der RH (SPF kann neben zusätzlicher Förderung auch Unterricht nach dem Lehrplan einer niedrigeren Schulstufe oder einer anderen Schulart in einem oder mehreren Fächern bedeuten, Anm.).
Eine solche vom RH geforderte Qualitätsverbesserung ist laut Stellungnahme des Bildungsressorts allerdings schon eingeleitet. Dort verweist man auf den Fachbereich Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik (FIDS) in den neuen Bildungsdirektionen.

Muttersprache als Kriterium

Weitere Auffälligkeiten beim SPF: Schüler mit nicht-deutscher Erstsprache sind deutlich überrepräsentiert. In Tirol haben etwa 14 Prozent der Pflichtschüler eine andere Erstsprache, aber 28 Prozent der SPF-Schüler. Dasselbe gilt bei Burschen: Mädchen stellten 2015/16 nur einen Anteil von 37 Prozent der SPF-Schüler. Das Ministerium solle die Ursachen für diese “im EU-Vergleich relativ große(n) Geschlechtsunterschiede” suchen, empfiehlt der RH.
Ob Kinder mit SPF oder einer körperlichen Behinderung eine Regel- oder Sonderschule besuchen, ist ebenfalls je nach Bundesland unterschiedlich. Über ganz Österreich gesehen wurden 2015/16 zwei Drittel der Pflichtschüler mit nicht-behinderten Kindern unterrichtet. Während es in Kärnten 89 Prozent waren, waren es in Tirol nur 52 – allerdings bei jeweils überdurchschnittlichen Steigerungsraten.

(Quelle: APA / derstandard, 1.2.2019)